Seit mindestens einem Jahrzehnt wabert die Idee der Work-Life-Balance durch die Welt. Eine Idee, die im Grunde abstruser nicht sein könnte, da sie scheinbar voneinander trennt was ineinander stattfindet. Wer arbeitet lebt und viele arbeiten um sich dieses Leben, und das der Familie, zu finanzieren.
 
Andererseits ist die Idee rational nachvollziehbar, denn sie zeigt auf, wie wir Arbeit verstehen – als etwas, dass vom Leben getrennt ist, oder etwas, dass wir zumindest vom Leben getrennt sehen möchten. Vielleicht ist diese Wahrnehmung sogar tief in unserer Geschichte verankert. Der Begriff „Arbeit“ leitet sich interessanterweise vom germanischen Wort „arabi“, dass „Mühsal, Plage“ bedeutet und erst im mittelhochdeutschen als „arebeit” die Bedeutung einer Tätigkeit mit Wert erhalten hat. Ganz anders übrigens als der englische Begriff „work“, der eng verwandt mit dem Begriff „werken“ bzw. „wirken“ ist. Arbeit scheint also für uns etwas zu sein, das wenig Gutes verheißt.
 

Mit Spaß arbeiten?!

Haben Sie schonmal etwas gerne getan? Egal, ob sie dafür monetär entlohnt wurden, oder nicht?
 
Es macht Spaß zuzusehen, wie aus einer wagen Idee ein nutzbares „etwas“ wird. Den allermeisten macht es auch Spaß mit Freunden an gemeinsamen Ideen zu arbeiten. Es macht Spaß sich auszutauschen zu lernen, zu wachsen, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen.
 
Allerdings haben wir diesen Spaß schon ab dem Kindergarten, teils echt mühsam, aberzogen bekommen. Wir wurden in einem, im Grunde 150 Jahre alten, Bildungssystemen auf ein Verständnis von konkurrierender und bewerteter Zusammenarbeit getrimmt.
 
Daneben haben wir gelernt mit all dem umzugehen, was wir vielfach – ich weiß, ich übertreibe hier – weder aus der Schule, noch aus dem Beruf kennen: den weltweit und jederzeit verfügbaren Zugang zu stetig wachsender Information für uns zu nutzen um uns zum Beispiel Wissen und neue  Kompetenz anzueignen – oder einfach nur Spaß (miteinander) zu haben.
 
„Arbeit“ und „Leben“ waren aus dieser Perspektive noch nie soweit auseinander wie heute.
 

„Arbeit findet immer mehr mitten im Leben statt.“

 

Arbeit nach 17:00?

Und gleichzeitig findet immer mehr Arbeit mitten im Leben statt. Wer, wie ich, zu den Menschen gehört, deren Kopf auch nach 17:00 einfach weiterdenkt, der Lösungen für Aufgabenstellungen auch in der übrigen Lebenszeit und an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten findet, der weiss zu schätzen, dass der digitale Notizblock, die Internetsuche oder der Videoimpuls nie weiter weg sind, als das allgegenwärtige Smartphone. Arbeit hat noch nie zuvor so viele Lücken im Nicht-Arbeits-Leben genutzt wie heute.
 
Das zeigt ein strukturelles Problem auf, dass wir in unseren Managementmodellen und Organisationsstrukturen mit uns herumtragen. In der Logik, die Verteilung von Aufgaben vorgeben und planen zu müssen, in der Logik des Akkords und der Erbringung maximaler Leistung (= Arbeit pro Zeit) und in der Logik des „Scientific Management“ und der proaktiven oder reaktiven Steuerung (ausgedrückt in Bürokratie und Meritokratie), war früher – und ich bis heute – kein Raum für „echtes Leben“ während der Arbeit. Wenn der Kopf denkt soll der Hand nur handeln. Da ist keine Zeit für etwas anderes eingeplant.
 

Digitalisierung im echten Leben

Die im „echten Leben“ schon längst angekommene „Digitalisierung“ erzeugt ganz andere Notwendigkeit und setzt ganz andere Maßstäbe. Notwendigkeiten und Maßstäbe, die auch die Systeme nach denen wir Arbeit gestalten immer schneller und umfassender berücksichtigen müssen. Neben der Neugestaltung von Produktions- und Serviceprozessen sind – viel nachdrücklicher – auch diese Arbeitsgrundlagen betroffen.
Wo die digitale Technik Einzug hält rufen viele nach mehr Agilität. Viel mehr als nach Plan zu arbeiten geht es darum opportunitätsgetrieben und damit, oft reaktiv, wahrnehmbar mehr Wirkung zu erzeugen. Aus der Wahrnehmung heraus, dass bei klassische Abläufen am Ende der angestrebte Nutzen niedriger als möglich und beabsichtigt ausfiel, zum Beispiel der Bedarf teilweise ein anderer war, hatte schon das agile Manifest den Fokus darauf gesetzt, Arbeit für Kunden und Entwickler sinnvoller, ergebnisorientierter und erfolgversprechender zu gestalten und damit (ganz nebenbei) für spürbar mehr Zufriedenheit zu sorgen. Spürbare Zufriedenheit, wohlgemerkt nicht nur auf dem Konto des Unternehmens, sondern auch im Leben der Menschen, der Kunden UND der Mitarbeiter.
 
Heute belegen Studien, wie wichtig diese Zufriedenheit für Unternehmen ist. Wenn es gelingt mit einem kleinen bisschen mehr gelebter Menschlichkeit zu agieren, sorgen zufriedene und begeisterte Mitarbeiter für mehr Zufriedenheit und Begeisterung bei den Kunden und umgekehrt. Der Ansatz bringt nicht nur höhere Produktqualität, bessere Außenwahrnehmung, weniger Krankheitstage und geringere Fluktuation mit sich. Er bringt auch in vielfacher anderer Hinsicht bei minimalen Invest einen maximalen ROI in Bezug auf die Ökonomie UND in Bezug auf „das Soziale“ und das Betriebsklima.
 

Warum also gehen so wenige Unternehmen den Schritt und versuchen Arbeit zu einem interessanten, inspirierenden, attraktiven Bestandteil von Leben zu machen? 

Viel hat mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung dieser Unternehmen zu tun. Dies zeigt sich exemplarisch, wenn man eine Ebene tiefer in die Organisationen blickt. Wie ein aktuelle Befragung von Führungskräften durch Gallup zeigt, halten sich zwar 97% der Führungskräfte selbst für gut in dieser Rolle, aber nur 30% der Mitarbeiter noch nie eine „schlechte“ Führungskraft hatten.
Ähnlich ist die Wahrnehmung auf der Ebene ganzer Unternehmen. Da morgens noch immer die meisten Mitarbeiter pünktlich zur Arbeit erscheinen, kann es um diese Arbeit nicht so schlecht bestellt sein. Die konkreten Ergebnisse beim Blick in Unternehmen hinein zeigen dann aber eben doch ein anderes Bild.
 

Anders arbeiten – wie kann das gehen?

Wer es sich, wie ich zumindest teilweise, aussuchen kann, mit wem er neue (eigene) Ideen ausarbeitet und Projekte aufsetzt, lernt schnell zu schätzen, was es bedeutet im Netzwerken nach einem grundlegenden und sehr einfachen Prinzip zu arbeiten. Es ist das Prinzip der „Arbeit wie mit Freunden“, dass dazu führt, dass viel positive Energie entsteht, die die gemeinsamen Aufgaben schnell weiter bringen. Es ist die grundlegende Logik die gestattet, dass in 30 Minuten intensiven Austauschs mehr entstehen kann, als an „normalen“ 8 Stunden Tagen. Es ist auch die einfache Logik, dass mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander und vor allem auch eine klare, einfache, fassbare und vor allem gemeinsame Zielsetzung – statt abstrakter Visionen und Leitbilder – erlaubt ganz natürlich Leben und Arbeit im positiven miteinander zu kombinieren.
 
Eine Logik, die umso erfolgsversprechender ist, je mehr und transparenter weitere Stakeholder (außer den Klassikern = Mitarbeiter & Kunden) involviert werden.
 

„Der große Vorteil der digitalen Welt ist, dass wir Arbeit menschlicher, lebensnäher und erfolgreicher gestalten können. Wir müssen uns nur trauen.“

 

Folgt nach der „Agilität“ die „Menschlichkeit“? 

Spannend wird es, wenn man dieses Prinzip auf die Idee des „Management von/mit Agilität“  – auf die Adhoc-kratie als Managementmodell – aufsetzt, denn dann kann es gelingen die Organisation zu befähigen, sich vorausschauend und damit proaktiv auf das (immer schneller und immer mehr kommende) Neue vorzubereiten. Es kann gelingen wieder, wie in den Anfängen des Managements, zu gestalten, statt sich getrieben zu fühlen. Der Schlüssel dazu ist, einen aktiv positiven zwischenmenschlichen Umgang miteinander zu etablieren und damit den Raum zu öffnen in dem die Köpfe gemeinsamen im Sinne der gemeinsamen Zielsetzung denken können. Dabei kann das Ziel extrem unterschiedlich aussehen, zum Beispiel eine Stadt „sauber bzw. müllfrei und zu halten und die Lebensqualität für alle zu erhöhen“, eine möglichst gesunde Kommune entstehen zu lassen, das coolste technologische Gadget oder ein vollkommen neues, bahn-(und auto-)brechendes Mobilitätskonzept auf die Beine zustellen. Das Ziel muss „nur“ zur den Menschen passen, etwas in ihnen „zum Klingen bringen“ und sie anregen sich tatsächlich aktiv zu beteiligen.
BMAx 4a
Das dies kein Hirngespinst ist, zeigen Unternehmen, denen es gelungen ist zu der Masse arbeitender Hände auch die Köpfe zum mitdenken anzuregen. Unternehmen, die nicht umsonst immer wieder als führend bei „new work“ herausgestellt werden. Unternehmen, diese dieses neue Level an sinnfokussierter und menschlicherer Zusammenarbeit leben.
 

Prognose: Menschlichkeit ist der wichtigste Schlüssel für zukünftigen Erfolg

Ich wage eine Prognose. Ich glaube (mindesten) zwei Dinge:
Erstens wird die Digitalisierung nicht Arbeitsplätze kosten, sondern und neue Möglichkeiten eröffnen und neue Arbeitsformen bringen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben – dass allerdings schneller als wir glauben,
und
zweitens werden diejenigen Unternehmen leichter zu diese Arbeitsformen finden und damit schneller erfolgreicher sein (sowohl ökonomisch, wie auch sozial und hoffentlich ökologisch), die es schaffen den Köpfen Raum zu mitdenken, zum mithandeln, und mitverantworten zu geben.
 
Wer als Unternehmen und Unternehmer heute im Kontext „mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz“ zögert, wer versucht an altbewährter Planung und Steuerung festzuhalten, wer diese Lernfähigkeit jetzt oder in naher Zukunft nicht aufbringt, wird untergehen.
Viele wagen bereits erste Schritte, einige sind sie schon gegangen, viele andere stehen in den Startlöchern. Ich kann und will Sie ermutigen schnell und gezielt weiterzugehen. Je größer Ihr Unternehmen ist, umso schneller, gezielter und umfassender sollten Sie starten, losgehen, Raum geben und denken (lassen).
 

Drei Fragen

Wie Sie zu mehr Menschlichkeit gelangen ist dabei eigentlich ganz einfach. Beginnen Sie doch mit drei (Selbst-)Reflexionen:

  1. Wie wann und wo finden bei Ihnen Arbeit und Leben zusammen? 
  2. Finden Sie für sich selbst heraus, warum Sie morgens für die Arbeit aufstehen und mit wem sie den Arbeitstag, mit Fokus auf ein begeisterndes Ergebnis, am liebsten verbringen möchten. 
  3. Finden Sie fünf Gründe, warum jemand gerne und intensiv „wie mit Freunden“ bei Ihnen arbeiten kann.

 
Wenn Sie antworten haben, sprechen Sie die Menschen in Ihrem Umfeld auf deren Perspektive an!
Oder schreiben Sie es hier in den Kommentar.
Und/oder versuchen Sie ein Bild/ein Foto zu finden, dass ausdrückt, wie Sie arbeiten wollen (z.B. bei pixabay.com) und machen Sie es zum Hintergrundbild auf Ihrem Smartphone. Tun Sie einfach etwas, das Sie daran erinnert, dass Arbeit ein positiver Teil von Leben sein sollte und mehr (Zwischen-)Menschlichkeit auch Ihnen dabei hilft.
 
Wenn es uns – als Gesellschaft gelingt – umfassend Arbeit und Leben miteinander in Einklang zu bekommen und auch hier mehr (Zwischen-)Menschlichkeit zu leben, bin ich überzeugt, dass wir uns als Volkswirtschaft auch langfristig keine Sorgen machen müssen.
 
Ich arbeite übrigens auch mit Unternehmen, die einen weniger ambitionierten Ansatz verfolgen und nur so für eine  bessere interne Zusammenarbeit sorgen wollen. Gute Impulse, individuelle Ansätze und aktive Begleitung bei der Veränderung helfen schließlich allen, ob ganz groß, oder ganz klein.
 
P.S.: Ich habe mich in diesem Kontext gefragt, wie ein  es aussehen würde, wenn man Verlauf eines Menschenlebens auf ein Arbeitsleben spiegelt. Meine “Erkenntnisse” aus diesem Prozess können Sie hier nachlesen