Welche Zukunft hat HR?


“BeyondDigitalHR” ist das Motto der Blogparade von VEDA die ganz spontan aus einer Facebook und Blog-Kommentar Runde entstanden ist. Und nicht nur dort, sondern auch hier in meinemBlog freue ich mich etwas zu dem Thema beizutragen.


Mit fällt derzeit keine andere der „üblichen“ Unternehmenseinheiten ein, die in Zukunft so sehr um ihre Daseinsberechtigung kämpfen muss, wie HR – zumindest das „HR“, dass ich bisher kenne und „am eigenen Leib“ erlebt habe.
Während die Bereiche Finanzen, Marketing, Vertrieb, Recht und Produktion,  Technik und IT in den meisten Organisationen weiter eine klare Rolle haben, steuern die HR Abteilungen, die mit einer „wir veralten die Mitarbeiter“ Mentalität in den Tag hineinleben und sich einzig als Erfüllungsgehilfe von Recruiting- und Personalabbauwünschen der Fachabteilungen sehen, in Zukunft auf den Abgrund der Automatisierung und Verlagerung der übrigen Tätigkeiten in die Fachabteilungen oder zu externen Dienstleistern zu. Das Damoklesschwert der „Digitalisierung“ schwebt über HR an einem so dünnen Faden wie sonst nirgends. Verträge, Abrechnungen, der ganze „Admin-Kram“ kann heute schon extrem effizient mittels Software und vor vergleichsweise unqualifiziertem Personal bearbeitet werden. In Zukunft wird „künstliche Intelligenz“ dies zu einer Nebentätigkeit von Führungskräften werden lassen. Recruiting und Entlassungen inkl. Aufhebungen können auch Fachbereichsleitungen erledigen. Trainingskataloge kann auch der Einkauf erstellen und Organisationsentwicklung macht ein Berater. Fertig.
Mag sein, dass ich überziehe, doch liebe Personaler, seien Sie ehrlich, womit befassen Sie sich noch?

Die Gestaltung der menschlichen Zukunft

Andererseits wäre es schade, das zweifelsohne vorhandene Potenzial so zu verschwenden. HR hat aus meiner Sicht weiterhin eine wichtige Rolle und Aufgabe als Gestalter der personellen, dass heißt vor allem, der menschlichen Zukunft von Organisationen. Niemand sonst kann die dazu notwendige Diskussion im Unternehmen in Gang bringen und moderieren. Diesen Fokus brauchen die meisten Unternehmen, um zukünftig nachhaltig erfolgreich zu sein.
Wir alle ahnen es, die Welt bewegt sich. Unsere Lebens- und Erfahrungswelt dreht sich immer schneller. Die Dynamik nimmt zu. Es gilt immer mehr Kommunikation, immer mehr Information, immer mehr Daten zu erfassen, zu verstehen und zu nutzen. Die zunehmenden zwischenmenschlichen Interaktion, gepaart mit neuen Kommunikationskanälen H2H (human to human), H2M (human to maschine) und M2M lässt die Komplexität fast exponentiell steigen.

Was früher Lösung war ist heute Lösungsraum

Allein schon die Kommunikation über unterschiedliche Kanäle, mit unterschiedlichen Gruppen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen birgt  Unsicherheit in Bezug auf das am Ende realisierte Ergebnis. Diese Ergebnisunsicherheit, diesen – in der Mathematik würde ich sagen – „Lösungsraum“ der durch „mehr Variablen als Gleichungen“ entsteht, das ist Komplexität pur.
Zusätzlicher Treiber sind immer „intelligentere“ immer besser ihre Umgebung wahrnehmende sowie immer schneller lernende Maschinen. Die Digitalisierung gewinnt mit jedem Tag an Tempo. Selbstfahrende Autos – vor fünf Jahren noch fast undenkbar – sind da nur die Spitze des Eisbergs.
Gleichzeitig entsteht eine Art Gegenbewegung. Die durch die intensivierte Kommunikation entstehende Wahrnehmung von mehr geistiger Freiheit führt dazu, dass wir uns mehr trauen und offener sind. Wir schreiben (und sagen) eher, was wir erleben, was wir denken, wir rezensieren, wir empfehlen. In der Konsequenz erkennen jung( geblieben)e Generationen diese Chance und fordern mehr Individualität, mehr Menschlichkeit, mehr miteinander und mehr Rücksicht auf sie und die Welt insgesamt. Die Gesellschaft erfährt und erhält durch die Digitalisierung neue Werte.
All dies ist vollkommen unabhängig davon ob und wie HR agiert.

Neuer HRaum

Doch es entsteht auch Raum für HR. Mehr noch: HR könnte in den Zukunft einige extrem wichtige Rollen einnehmen.
Der erste zukunftsträchtige Bereich für “Human Resources” ist der Erhalt der Arbeitsfähigkeit eben dieser „Ressourcen“. Es bleibt wichtig die Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit und auch die Entscheidungskompetenz der Organisation bei sich verändernden Rahmenbedingungen sicher zu stellen.
Die Menge an verfügbarer Information verändert sich in einer Geschwindigkeit die Wissen schneller veralten lässt als wir es erwerben können. Um unsere Rollen und Aufgaben weiter optimal ausüben zu können brauchen wir neue Arten von Lernräumen und Netzwerken. Räume zum Austausch und Netzwerke in denen wir lernen und lehren können. Netzwerke die dazu einladen und anregen bei den Beteiligten aus Wissen und Erfahrung neue Kompetenz entstehen zu lassen. Nicht nur ab und zu, sondern dauerhaft und (fast) ständig. Die Notwendigkeit von „lebenslangem Lernen“ ist weder auf individueller noch auf organisationaler Ebene noch eine Floskel.
Wir müssen mehr tun, als diese neuen Netzwerke mit Mitarbeitern zu befüllen und diese in den Austausch zu bringen. Alle Stakeholder, genauso wie andere Unternehmen in der gleichen Region oder der gleichen Branche haben, richtig angesprochen und engagiert, etwas einzubringen, dass auch dem eigenen Unternehmen nützt.

Digital + sozial + analog = Gemeinsam sind wir stark

Digital und sozial trifft aufeinander. In einem anderen Blogbeitrag habe ich getitelt: „Arbeiten4.0 – Der digi-soziale Weg zu neuen Arbeitsformen“. Ich bin überzeugt, dass gerade die Kombination von digital und sozial, und mehr noch die Kombination von digi-sozial mit analog auch aus wirtschaftlicher Sicht ganz neue Potenziale bietet.
So sehr Digitalisierung für eine höhere Effizienz sorgen kann, so sehr wächst mit ihr auch die Zahl der beteiligten Systeme und Menschen und damit Komplexität. Weder ein einzelner Mitarbeiter, noch die derzeit genutzten Computersysteme sind in der Lage diese zu meistern. Der hier bis dato erfolgreichste Lösungsansatz: „Die Weisheit der Vielen”. Gerade wo unterschiedlichste Kompetenzsets zusammenkommen, wo Diversität und Heterogenität herrscht und diese mit einer gemeinsamen Zielsetzung, einem gemeinsamen Sinn gebündelt werden können, kann im Zusammenspiel hohe Effektivität bei der Lösung komplexer Aufgabenstellungen entstehen.
Im „Sinn“ liegt aus meiner Sicht einer der neuen Kernbereiche der Arbeit von MBG (Menschlicher BeziehungsGestaltung) aka HR.

Sinn bewegt

Den Sinn zu klären und abzustimmen, die Menschen zusammenzubringen, die sich für die Erreichung dieses Ziels engagieren wollen, das ist eine deutlich vernachlässigte Komponente unternehmerischen Handelns. Dies nur den Strategieabteilungen und Führungskräften zu überlassen greift spätestens zu kurz, wenn es um die zukünftig neuen „temporären Leistungsträger“ geht. Unternehmensvisionen gibt es viele. Aber welche davon ist dazu geeignet echtes Engagement bei den Stakeholdern zu wecken? Die individuellen Visionen mit der unternehmenseigenen in Kongruenz zu bringen und dabei auch ideele Themen, Sehnsüchte, Leidenschaften und die Erfüllung individueller Träume und Wertvorstellungen zuzulassen ist ein erfolgsrelevantes Betätigungsfeld.

Temporär und flexibel

Aller Voraussicht nach verändert sich die „Personalstruktur“ in den nächsten Jahren. Die Trends sprechen für eine spürbare Veränderung des Prinzips und Verständnisses von „Arbeits- bzw. Angestelltenverhältnissen“. Wo heute Mitarbeiter fest für Unternehmen arbeiten, kommen in Zukunft immer mehr die einem Lebensmodell folgen. Fest- bzw. befristete Anstellungen heutiger Denkart werden immer weniger attraktiv erscheinen. Zu gering ist die Flexibilität dieser Strukturen zu groß ist der weiter wachsende Wunsch nach individualisierten Lebensmodellen.
In großen Teilbereichen wird die Mitarbeit immer temporärer und diese ist entweder prekär oder es ist hochspezialisierte Mitwirkung gefragt. Ersteres denken die heutigen Modelle von Leiharbeit und Berater-Body-Leasing ab, für letzteres braucht es neue Ansätze. Diese hochqualifizierten Fachkräfte kommen zwar auch fürs Geld, aber ebenso für Sinn und Reputation. Hier gilt es Strukturen aufzubauen, die diese Kompetenzträger mit dem Unternehmen und dessen Sinn in positiven Kontakt treten lassen, um dann ggf. kurzfristig auf diese zurückgreifen zu können.
Problem: Die rechtliche Rahmenbedingungen und das, auf persönlicher Ebene hier „megawichtige“ Thema Sicherheit sind offene Baustellen.
Diese neue Art des Zusammenwirkens braucht eine andere Art der Administration und sie beeinflusst Kultur, Leadership, bestehende Organisationsstrukturen und nicht zuletzt Entscheidungsprozesse. Offenheit zur (teilweisen) Selbstorganisation, basierend auf einer bewussten Selbstreflexion der Organisation ist das Gebot der Stunde.
Methoden, Konzepte, Werkzeuge und Beispiele wie der Wandel gestalten werden kann gibt es in ausreichender Zahl. Nur wenige lassen sich zu 100% auf die individuelle Situation der Organisation anwenden. HR braucht den Mut neue Ideen gemeinsam und im Konsens mit der Organisation auszuprobieren. Dann besteht die Chance, dass HR auch hilft die gesamte Organisation ihrem gemeinsamen Ziel ein Stück näher zu bringen. Andernfalls steht sie der Entwicklung im Weg.

Viele Optionen für die Zukunft

Wenn man über die mögliche Zukunftsorientierung von HR nachdenkt ergeben sich viele Optionen. Die denkbar schlechteste ist, darauf zu vertrauen, dass dieser Kelch an HR vorüberzieht ohne Spuren zu hinterlassen. HR muss hier unverzüglich beginnen aktiv zu sein und bewusst zu handeln. „Beispiel geben und Beispiel sein“ sind die Themen, die es zu allererst anzugehen. Nur wenn HR sich auf den Weg macht, die Chancen dieses digitalen Umbruchs zu erkennen und zu nutzen wird HR in dieser neuen Welt auch eine Daseinsberechtigung haben. Basis ist „digital“ zu verstehen und selbst effizient und effektiv einzusetzen. HR hat die Chance beispielhaft voranzugehen und einen echten Wertbeitrag zu leisten. Alternativ wäre sonst noch Gelegenheit die eigenen Aufhebungsverträge zu verfassen und der Geschäftsführung zu empfehlen die neuen zukunftsgerichteten Aufgaben an jemanden ausserhalb des Unternehmens zu vergeben. Das wäre schlecht für die Organisation und gut für die outsourcing Unternehmen.

Hausaufgabe

Am Ende noch eine kleine Hausaufgaben für die Personalarbeiter, die bis hierhin durchgehalten haben. Eine einzige Frage nur: Was von dem was Sie heute tun ist in fünf Jahren noch von besonderer Bedeutung für Ihr Unternehmen?


Und wir Blogger? 

Wie können wir HR unterstützen um gemeinsam die Zukunftsfähigkeit von HR zu verbessern?
Ich glaube, ganz banal, auch wir brauchen den Austausch. Wir brauchen den Dialog – in den Kommentaren dieser Seite, oder zentral auf der Seite der Blogparade. Wir brauchen Raum die Gedanken und Ideen zusammenzutragen, zu reflektieren und zu verknüpfen, um so Wege zu skizzieren und Brücken zu bauen über die HR gehen kann.
Und wir brauchen für diese Wege Ansatzpunkte an die HR heute schon anknüpfen kann um mit ersten kleinen Schritten loszugehen.