Zusammenfassung

Marc Wagner, Managing Partner bei Detecon, hat in seinem Beitrag „Die Erschütterung der alten Macht: Erneuerung durch Company Rebuilding?“ einen Weg aufgezeigt, über den vor allem große Unternehmen sich von innen erneuern und so auf kommende Entwicklungen einstellen können.
Im folgenden Beitrag zeige ich (m)einen teilweise alternativen, teilweise ergänzenden und weiter ausdifferenzierten Ansatz für einen Masterplan einer solchen Entwicklung auf. Dabei geht es um eine Erneuerung im laufenden Betrieb bzw. die Schaffung von selbstständigen, modulalen Zellstrukturen, zur Umsetzung neuer Geschäftsideen. Der Ansatz setzt auf Erkenntnissen von BCG zu extrem langlebigen Unternehmen und aktuellen Arbeiten des Zusammenhangs zwischen Geschäftsmodellen und dem Managementdesign auf und beinhalten 6 wesentliche Elemente für einen solchen Masterplan der Erneuerung.
Am Ende des Blogbeitrags sind Leitfragen angefügt, um den Lesern Gelegenheit zu geben eine erste Selbstreflexion zu starten.
 

Eine der Fragen der Zeit

Die Frage, wie sich Unternehmen, idealerweise von innen heraus weiter- oder neuentwickeln (können), ohne dabei zu große Lücken im Tagesgeschäft zu reißen, treibt derzeit viele Unternehmen und einige Organisationsvordenker um. Eine eindeutige Lösung, ein klares Konzept scheint es nicht zu geben. Allein ein paar Parameter und Rahmenbedingungen stehen fest.
 
Marc Wagner, Managing Partner bei Detecon, hat sich vor ein paar Tagen dieses Themas angenommen und einen Ansatz beschrieben, den er “company rebuilding” nennt und der einige der bereits erkannten Wegmarken zusammenträgt.
 
So viel Gutes, geeignetes und strukturiertes in Marcs hervorragendem Beitrag zu lesen ist, so sehr fehlten mir ein paar weiterführende Gedanken und eine Konkretisierung einiger der genannten Aspekte.
 
In diesem Blogbeitrag möchte diese (aus meiner Sicht) ergänzen, und so nächste Schritte in Richtung einer leicht verständlichen und adaptierbaren Grundlage für die Entwicklungen oder den Aufbau von Organisationen vorschlagen.

6 Grundprinzipien langlebiger Unternehmen

Wie Martin Reeves, Senior Partner bei der Boston Consulting Group und Director des „BCG Henderson Institute“, in einem inspirierenden TED Talk darstellt, agieren extrem langlebige Organisationen nach 6 Grundprinzipien, die in entscheidenen und kritischen Momenten immer wieder positive Entwicklungen ermöglichen. Erkennbar sind: „Redundance“, „Diversity“, „Modularity“, „Adaptation“, „Prudence“ und „Embeddedness“. In meiner Um- bzw. Übersetzung bedeutet dies: Sie sind bewusst verschwenderisch, mehrdimensional vielfältig, vorausschauend vorbereitet, intern und extern verbunden, interessiert an Anpassung und damit veränderlich und zugleich fest in ihrem Umfeld verankert.
 
Es sind Prinzipien nach denen sowohl sehr erfolgreiche alte, wie auch vergleichsweise neue Unternehmen aufgebaut wurden. Beispiel für ein „altes“ Unternehmen ist W.L. Gore, gegründet 1958. Seit 60 Jahren arbeiten W.L. Gore nach genau diesen Prinzipien. Das Unternehmen gliedert sich immer wieder in ganz bewusst redundante Einheiten bzw. Tochterunternehmen mit maximal 250 Mitarbeitern auf in denen zum Teil identische Aufgaben erledigt bzw. Produktgruppen produziert werden. Es besitzt eine extrem breite Produktpalette von Textilien bis zu Medizingeräten und Gitarrensaiten. Es zeigt damit eine starke Anpassungsfähigkeit, agiert in sehr unterschiedlichen Märkten und nutzt die Ideen seiner Mitarbeiter, um neue Aktivitäten zu starten. All dies tief eingebettet in die sozialen Umfelder der Produktionsstätten und der Stakeholder.
 
Ein anderes Beispiel ist ein vergleichsweise junges und sehr progressives Unternehmen: „Buurtzorg“, der 2006 gegründeter Anbieter von (zunächst) häuslicher Kranken- und Altenpflege in den Niederlanden. Buurtzorg hat inzwischen ca. 10.000 Mitarbeiter, die in strukturierten, lokalen und modularen Teams von 10 – 12 Personen zusammenarbeiten, s.d. die Teams jeweils den lokalen Pflegebedarf abdecken. Das Unternehmen startet immer wieder neue Projekte wie z.B. in “Partnerschaften” mit Studenten, die in den inzwischen entstandenen Altenheimen „mitwohnen“. Es arbeitet im Sinne der Patienten und der Teams vorausschauend und ist jeweils Tief im lokalen, sozialen Umfeld verankert.
 
All dies sind Eigenschaften, die Unternehmen, welche von innen heraus eine Erneuerung anstreben, ebenfalls berücksichtigen sollten.

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Ein Gerüst für den Umbau von Unternehmen

Diese Prinzipien fußen auf der Haltung der Eigentümer und der Geschäftsführung dieser Unternehmen. Wenn die Eigentümer und die Führung bereit sind, den Weg aktiv vor- und mitzugehen, lässt sich eine solche Haltung auch im Rahmen einer umfassenden Erneuerung vermitteln.
 
Bei einer solchen Erneuerung muss es darum gehen, eine skalierbare Gesamtstruktur zu schaffen, die das Altgeschäft vollständig (bzw. soweit dann noch sinnvoll) übernehmen kann und zugleich offen und frei genug ist, um neue Themen anzugehen. Diese Art der umfassenden Skalierbarkeit, bis zum Ersatz des Alten durch Neues, ist ein weiteres wesentliches Merkmal eines Masterplans für eine, inmitten von Digitalisierung, Agilität und „new work“ zugleich zeitgemäße Unternehmensentwicklung.
 
Wo auch immer der Impuls zur Erneuerung seinen Ursprung hat, es muss den Beteiligten klar sein, dass dieser Weg kaum einen (alten) Stein auf dem anderen lässt. Es handelt sich um eine fundamentale Erneuerung im laufenden Betrieb.
 
Noch etwas muss klar sein: Der Wandel betrifft alle Stakeholder. Sie sind alle Teil der Entwicklung. Da ein Wandel des Management(selbst)verständnisses ein ganz explizites Element des Wandels darstellt, wird es Führungskräfte um so mehr betreffen, je weiter “oben” sie agieren. Dies ist einer der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zu “normalem Change“ und eine der größten Herausforderungen.

Mut zum Mix der Managementmodelle

Mit dem Aufbau (neuer) modularer Einheiten, die aufgrund Ihrer Aufgabe, Zielsetzungen und der daraus abgeleiteten Struktur ggf. ein ganz anderes Managementdesign benötigen, als es in der Ausgangsorganisation der Fall war, entsteht ein Spannungselement, mit dem umgegangen werden (können) muss. Diese Spannung ist um so größer, je weiter die resultierenden Managementmodelle in ihrer Intention, ihrer Ausrichtung und Gestaltung, auseinanderliegen, und je mehr tatsächliche (Hoch)Leitungsteams in den verschiedenen Einheiten vorhanden sind. Insbesondere kommt es hier zu Abstoßungsreaktionen der alten Strukturen, die, ganz natürlich, versuchen dem durch die neuen Strukturen implizit entstehenden Veränderungsdruck entgegenzuwirken.

“Renewal” statt “rebuilding” Erneuerung (von innen heraus) statt Neuaufbau

Der Wandel braucht Struktur, wir Menschen brauchen Struktur, um Stabilität und Sicherheit zu empfinden, um Sorgen und Ängste im Wandel zu überwinden bzw. Neugier zu entwickeln. Um diese Sicherheit aufzubauen ist es sinnvoll einem Masterplan, einem Grundgerüst bzw. einer Struktur zu folgen, die markanten Punkte des Weges erkennbar machen.
 
Aus meiner Sicht enthält ein solcher Masterplan 6 wesentliche Elemente

  1. Die Klärung des “Big Pictures”
  2. Den Aufbau einer stabilen Basis für neue oder “ausgelagerte” Aktivitäten
  3. Die Definition und Schaffung der passenden Rahmenbedingungen und des Managementmodells
  4. Die Reflexion, Vereinbarung und Implementierung geeigneter Geschäftsmodelle
  5. Raum um Wirksamkeit zu erzielen und darüber zu berichten
  6. Die Analyse und Reflexion des erreichten (bzw. ggf. nicht erreichten) Wandels.

 
Startpunkt ist das Big Picture des Unternehmens.
Die bewusste Sicht auf das Unternehmen, seine Ziele, seine Fähigkeiten und vor allem der Blick darüber hinaus in die Bereiche jenseits des Tellerrands. Ohne ein Verständnis der Trends, der Entwicklungen außerhalb des Unternehmens, ohne eine Idee, was in den nächsten Jahren an Chancen und Risiken auf die Organisation zukommt, ist keine zielgerichtete Entwicklung möglich. Die Zusammenhänge sind vielfältig und komplex. Zu komplex, um ihnen mit singulären Maßnahmen zu begegnen. Es muss darum gehen, Entwicklungsraum zu schaffen der anpassungsfähig genug ist, um die auf dem Weg entstehenden Veränderungen und den gemachten Erfahrungen einfließen zu lassen, auch wenn diese den Weg und das Ziel vehement beeinflussen oder gar verändern.
 
Dieser Schritt wird fatalerweise (zu oft) übergangen. Schließlich kennt man sein Geschäft. Man kennt auch die blinden Flecken und die unangenehmen Problemfelder, die „Dreckecken“ und schaut deshalb an diesen Stellen nicht mehr richtig hin. So verpassen Top-Führungskräfte immer wieder die (Wieder-)Entdeckung wertvoller Potenziale. Ähnlich wie ein Gesundheitscheck beim Arzt die erwarteten Ergebnisse bringen soll und zugleich andere Dinge wieder ins Bewusstsein rückt, ist eine regelmäßige Betrachtung dieses Big Pictures und der Einflussfaktoren eine unabdingbare Notwendigkeit.
 
Daran schließt sich der Aufbau einer stabilen Basis für neue Aktivitäten an.
Es geht darum zunächst Ideen & Zielrichtungen für die Entwicklung zusammenzutragen, zu bewerten und die geeigneten Menschen „hinter dieser Idee“ zusammenzubringen. Es geht um Menschen, die fähig und willens sind, den ersten Kern von (Hoch-)Leistungsteams zu bilden – eine besondere Herausforderung.
 
Wenn klar ist, um welches Thema, welche Idee, sich neue Einheiten oder „Zellen“ bilden sollen, so brauchen diese geeignete Rahmenbedingungen.
 
Der Rahmen der Zusammenarbeit in den Zellen und darüber hinaus hängt (zunächst) stark von der in den die Basis bildenden zentralen (Alt)Einheit ab. Das denken und handeln hier bestimmt anfangs auch das in den Zellen. Es lohnt Parameter zu identifizieren und zu definieren, die die Basis der Betriebslogik, des “Wer macht was mit wem, wann, wo, wie und warum” in den Zellen bilden können, auch wenn die Zellen im Detail davon abweichen werden und sollen, stehen so zumindest allen gemeinsame (kulturelle) Leitplanken zur Verfügung.
 
Stimmen diese Rahmenbedingungen, so fällt die Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte und einer Kultur die eine zielführende, wertschätzende, achtsame, aber dennoch auch inhaltliche Konflikte ermöglichende Kommunikation deutlich leichter. Sie bildet die Basis für Vertrauen und die Offenheit zum Austausch, der Teilnahme, der Teilgabe und der Teilhabe (also gelebter Partizipation).
 
Ebenso von Bedeutung ist die weitere Zusammensetzung der Teams. Je klarer dabei die eigenen und gemeinsamen Fähigkeiten und Stärken bewusst sind, je mehr Respekt, gegenseitige Anerkennung und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden sind, desto besser kann die Zusammenarbeit funktionieren. Hier ist das Kernteam gefragt über eigene Kontakte, das Netzwerk und Empfehlungen die „richtigen“ Zusammenzufinden. Eine externe Begleitung dich einen Coach oder Supervisor hilft auf diesem Weg.
 
In diesem Kontext dürfen Leitplanken für die Interaktion in der Zelle und mit (zukünftig) benachbarten Zellen, wie etwa die Prinzipien für Entscheidungsfindung, nicht fehlen. Diese sind Teil des zu gestaltenden Managementmodells, also der Art der Führung und der Zusammenarbeit auf der Grundlage von Strukturen und Abläufen.
 
Die Intention des „zentralen“ Managements (der „Altorganisation“) ist dabei entscheidend dafür, wie frei später die Zellen agieren, interagieren und gemeinsam die ins Auge gefasste Vision umsetzen und erreichen können. Wenn Führung die traditionellen Muster des “Control & Command” vorlebt, werden Zellen vermehrt Erfolge in Bereichen haben, die mit diesem Managementmodell gut steuerbar sind und auf diesen Grundsätzen aufbauen. Umgekehrt brauchen Geschäftsmodelle, die auf maximaler Anpassungsfähigkeit, Selbstverantwortung und (pro)aktiver Reaktion auf Kunden und anderer Stakeholder aufbauen, ein dafür geeignetes Managementmodell als Basis.
 
Eine der größten Herausforderungen auf dem Weg ist, die Managementmodelle entsprechend anzupassen und zugleich die teilweise konträre Ansätze im gemeinsamen Unternehmen zuzulassen und auszuhalten. Dies verlangt insbesondere von den Führungskräften eine besondere Offenheit zur Reflexion ihres Verhaltens und ihrer Haltung(en). (Peer-)Coaching und Supervision sollten dazu im Werkzeugkasten der Entwicklung verfügbar sein.
 
Die Konkretisierung des Geschäftsmodell – häufig ganz an den Anfang neuer Planungen gestellt – ist der nächste Schritt. Die Analyse und Reflexion, Vereinbarung und Implementierung der Umsetzung der Ideen in Form von Produkten und Services, der dazu ggf. notwendige Aufbau und die Erweiterung von (internen und externen, möglichst interdisziplinären) Netzwerken sollte nun folgen. Die Implementierung kann Ansätze wie „Effectuation“ und „Lean Startup“ nutzen, um die neue Zelle schnellstmöglich zu ersten Ergebnissen zu bringen. Wichtig ist die Modularität, Diversität der Aktivitäten und die Anpassungsfähigkeit innerhalb und außerhalb der Zellen sicher zu stellen und sie zugleich ausreichend fest und lose genug mit der übrigen Organisation zu verzahnen.
 
Um die Wirksamkeit der Zellen, jeweils für sich und in der Gemeinschaft der Gesamtorganisation möglich und sichtbar zu machen, brauchen diese eine gute, die Zellwände überwindende Kommunikation. Erfolge wollen erkannt und nach außen getragen, sowie Misserfolge als gemeinsamen Lernerfahrungen genutzt werden. Das konsequente, gemeinsame und individuelle Lernen steht in diesem Abschnitt, neben der Umsetzung der selbst gesetzten Ziele im Vordergrund, um der Organisation so neuer Informationen, Erfahrungen und Wissen verfügbar zu machen. „Geschichten“, aka „Narrative“, sind ein sehr nachhaltiges Werkzeug, um die Erfolge und diese neuen Kompetenzen zu verbreiten.
 
Unabhängig von allen Erfolgen und Misserfolgen, von allen Maßnahmen, Werkzeugen und Aktivitäten ist eine regelmäßige gemeinsame Reflexion des (bereits) erreichten Wandels notwendig, um den weiteren Weg abzuleiten, zu gestalten und zu meistern. Dabei sollte die Frage: „Weitermachen, ggf. angepasst und/oder konsolidiert oder Zerschlagung bzw. Abbruch einzelner kleiner Experimente?“ ganz bewusst immer mit im Raum stehen. Sie ist am Ende (und am Anfang) immer die entscheidende Fragestellung bei der nachhaltigen Neugestaltung des Unternehmens.

Die Neben“bedingungen“ 

Wie entstehen die neuen Einheiten, was brauchen sie, wen brauchen sie?

„Zellteilung oder Partnerschaften?“

Die Idee der “Zellteilung”, unabhängig ob aufgrund von Wachstum oder ausgelöst durch spezifische Kundenanforderungen oder andere Anlässe, wie auch W.L. Gore sie zum Beispiel betreibt, ist gerade für große Strukturen, die alle notwendigen Ressourcen “an Bord” haben ein einfacher und attraktiver Weg. Allerdings ist eine solche “Zellteilung” eine Art der Vermehrung, ohne notwendigerweise neuen Input in Bezug auf das Geschäftsmodell, den Umgang mit Kunden etc.. Damit besitzt sie auch ausgesprochene Nachteile gegenüber anderen Ansätzen. In der Biologie sind solche ungeschlechtlichen Vermehrungen, ohne bewusste Ausweitung des Genpools, nur Notlösungen, wenn sonst kein adäquater Partner zur Verfügung steht.
 
Sie ist andererseits der bessere Weg, wenn man eine bewusste Kannibalisierung des Altgeschäfts in Erwägung zieht, da auf diesem Weg keine neuen Partner ins Boot geholt werden.
 
Andererseits kann ein Weg über Partnerschaften mit anderen Unternehmen, seien sie langfristig angelegt, bewusst temporär oder nur auf den Austausch von Impulsen und Gedanken fokussiert, leichter für frischen Wind sorgen – vor allem auch für kleine und mittelständische Unternehmen. Zwischen den Analogien zu “Ehe” und “One Night Stand” hat hier die vertrauensvolle, langfristige aber auch offene Beziehung für viele Unternehmen eine zunehmend relevante Daseinsberechtigung. Sie erlaubt den Neuaufbau, aufbauend auf dem Erbe zweier (gleichberechtigter) Partner, die so jeweils neue (Lern)Erfahrungen machen ihre Kompetenzen einbringen.
 
Bei beiden Varianten kommt das Element der zufälligen Mutation hinzu, der Veränderung ohne Plan durch die Reaktion auf sich plötzlich verändernde Rahmenbedingungen. Sie ist als Lernerfahrung immer hilfreich, auch wenn sie zwischenzeitlich für Irritation sorgt. Um mit ihr umgehen zu können, sind Flexibilität und die Offenheit für solche Einflüsse in jeder dieser “neuen” Strukturen notwendig.

Am Ende bleibt ….?!

Eine Analogie zur Evolution und Biologie lohnt sich auch beim Blick auf den Umgang mit unzureichend erfolgreichen „Zellen“.
 
Vielen Unternehmen kapseln erfolglose Projekte ein, führen sie weiter oder lassen sie leise sterben. Eben sowenig hilfreich ist es, erfolglose Zellen, Projekte und Experimente „auszuscheiden“, d.h. den Mitarbeitern den Stempel des Versagens aufzudrücken und sie auszugrenzen.
 
Ein werterhaltender Ansatz ist, die betroffenen Mitarbeiter mit besonderer (am Ende eben auch negativer) Erfahrung wieder in die Organisation einzubringen um deren Erfahrungsschatz aktiv anzuzapfen und zu nutzen. Wenn aus einzelnen Erkenntnisse gemeinsame Lernerfahrungen werden, ist für das Unternehmen viel gewonnen – mehr als nur die dazu verinnerlichte Haltungsänderung.

Zusammenspiel der Zellen 

Ein paar der grundlegenden Eigenschaften, die die neu geschaffenen Zellen auszeichnen sollten, lassen sich aus den Anforderungen und Eigenschaften von Hochleistungsteams ableiten – auch wenn klar ist, dass dies ein selten erreichtes Idealbild darstellt.
 
Grundlegend ist eine klare, gemeinsame, mit einer „höheren”, kundenfokussierten oder gar gesellschaftlich relevanten Aufgabenstellung verbundene Zielsetzung, der “Purpose”. Es muss den Beteiligten klar sein, worum es geht, wohin die Reise gehen soll und wie die Wertschöpfungs- und Wertschätzungszusammenhänge aussehen. Der „Purpose“, die Zielsetzung und Vision stimmt im besten Fall in wesentlichen Punkten mit den Zielen der Beteiligten überein, so dass die Aufgabe eine (besondere) Bedeutung für die Teammitglieder besitzt („meaning“).
 
Die Zellen müssen frei und unabhängig von äußeren Einflüssen die aus ihrer Sicht relevanten Fragen beantworten und entscheiden können. Sie sollten über einen einfachen, leichten Zugang zu den Ressourcen und Mitarbeiter der zentralen „Altorganisation“ und eine gute Kommunikationsebene mit den anderen Zellen verfügen, die sie für die gute Zusammenarbeit über die Zellgrenzen hinweg ohnehin brauchen.
 
Dazu gehören ebenso gemeinsame Reviews und Retrospektiven. Dies erlaubt den Mitarbeitern in den Zellen zum einen individuelle Ableitungen der gemeinsamen Rahmenparameter zu gestalten (für ein „das machen wir hier etwas anders, aber es passt zum ganzen“) und zum anderen ein gutes Verständnis des eigenen Wertbeitrags zu entwickeln und den eigenen USP, das „Was kann diese Zelle, dieses Team leichter, schneller, “besser” als der Rest des Unternehmens“, für sich zu definieren.

Zusammenarbeit in den Zellen 

Auch wenn die gemeinsame Zielsetzung auf die individuelle Bedeutung der Beteiligten aufbauen sollte, erhöht es die Erfolgswahrscheinlichkeit, wenn das Team heterogen mit Menschen unterschiedlicher Persönlichkeitsmuster besetzt ist. Ebenso erhöht es die Erfolgsaussichten bzgl. der Zusammenarbeit, wenn “temporary leadership” möglich und verstanden ist und so insbesondere auch immer wieder Chancen gegeben werden individuell, bezüglich der soft oder hard skills, zu lernen und zu wachsen.
 
Dieses idealtypische Bild klingt nach einer sehr freien und offenen Struktur, dennoch geht es nicht unbedingt um ein Selbstorganisations- oder Null-Hierarchie Konzept. Je nach Ausgestaltung der Aufgaben und der Teams kann eine zwischen einer streng hierarchische Struktur, ob vorgegeben oder selbst gewählt, bis zur vollständigen „Null-Hierarchie Selbstorganisation“ alles gelebt wird.
 
Unabdingbar für die Zusammenarbeit in der Zelle und mit den anderen Zellen ist, ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität zu vermitteln und aufzubauen. Unsicherheit zerstört – ob alte oder neue Organisationsstruktur – das vorhandene Erfolgspotenzial. Im Gegenteil können Neugierde und interessante und relevante Ideen dann um so besser entstehen, wenn auch der emotionale Rahmen stimmt (s.o.).
 
Ein wichtiger Baustein für die Wahrnehmung von Sicherheit ist Transparenz und die Gelegenheit zum Dialog über Unklarheiten. Dafür sind die genannten Reviews, d.h. Reflexionen der Aufgaben und Ergebnisse, und Retrospektiven, d.h. Reflexionen der Rahmenparameter und Interaktionen zum Beispiel auch in der Kollegialen Beratung, wichtig.

Große Aufgaben werden Ihre Schatten voraus

Große wie kleine Unternehmen auf diesem Weg zu erneuern und ihnen eine neue Gesamtstruktur zu geben, ist sicherlich eine der größten Managementaufgaben unserer Zeit. Es ist dennoch keine Option, die von außen auf das Unternehmen einströmenden Entwicklungen auszusitzen oder ihnen (überhastet) mit singulären Maßnahmen und Konzepten zu begegnen. Die Gesamtsicht auf das Unternehmen und der Versuch in kleinen Schritten Veränderung zu initiieren, ist eines der machtvollsten Instrumente, die Unternehmensführungen heute dazu zur Verfügung stehen, denn sie – die Veränderungen ebenso wie die Top-Führungskräfte – entscheiden über die Zukunft.
 
Nutzen Sie Ihre Macht, bevor sie vergeht!
 
Wenn Sie den Einstieg wagen möchten, finden Sie hier einige Leitfragen zur ersten Selbstreflexion.

  • Was ist das aktuelle, normale Wettbewerbsszenario? Was machen meine Wettbewerber? 
  • Was könnten neue Wettbewerber (die aus anderen Branchen/Bereichen „eindringen“ anders machen? Welche Auswirkungen kann dies für mein Geschäft haben? (Beispiel: Digitalkamerahersteller, die zwar Analogfotografie verdrängt haben, aber dann selbst durch Smartphones verdrängt wurden.)
  • Was sind unserer Kernkompetenzen? Mit welchen (besonderen) Fähigkeiten sind diese verbunden? Welche dieser Fähigkeiten sind leicht kopierbar, welcher schwer, welche nicht? 
  • Was sollte ein Start-up tun, dass uns innerhalb von 5 Jahren aus dem Markt drängen will? Was sollte ein Start-up tun, damit es in 5 Jahren 90% des Marktes dominiert, in dem wir tätig sind?
  • Was können wir tun, um dieses Start-up selbst zu sein?
  • Welche Fähigkeiten sollten wir behalten, welche aufbauen, welche nicht mehr nutzen?
  • Wie sieht das Geschäfts- und das Managementmodell dieses Start-ups aus? Wie funktioniert es, wie verdient es Geld? Zum Start, nach 2 Jahren und nach 5 Jahren? 
  • Welche Strukturen (formal und informell) und welche Rahmenbedingungen stehen uns zur Verfügung? Worauf können wir aufsetzen? Welche Strukturen, Prozesse und Prinzipien sind hinderlich? 
  • Wie können wir Einheiten aufbauen, und ausstatten, die unsere Organisation innerhalb von 5 Jahren erneuert? Welche Partnerschaften verbessern unserer Situation, welche verschlechtern sie? Was können wir aus eigenen Ressourcen schaffen, wo sollten wir neues einbringen?
  • Was kann dieser Start-up leichter erreichen als wir? Was kann es erreichen, dass für uns jenseits aller Möglichkeiten ist? 
  • Welche Betriebslogik und welche Freiheiten braucht es, um das zu erreichen?
  • Welche Lernerfahrungen können wir auf diesem Weg ins Unternehmen tragen? Was können die Menschen im Unternehmen verkraften, worauf sind sie vorbereitet, worauf nicht? Wie gehen wir damit um?