>>> Standpunkt <<<

Der Sinn ist wichtig, oder?
Und die Kultur!
Und Agilität!
Und die Nutzung digitaler Werkzeuge!
Und Kundenorientierung!
Und attraktiv für neue Talente zu sein!
Und Selbstorganisation!
Und Augenhöhe!
Und Vernetzung!
Und Mut!
Und neue Entscheidungsprinzipien!
Und Austausch!
Und Offenheit, um voreinander zu lernen!
Und schnelle Entscheidungen!
Und Querdenken! Nein – halt, Querdenken nicht so sehr 😉
 
Merkt ihr was?
Heute ist irgendwie alles wichtig!
 
Und deshalb arbeiten wir ja auch alle an den heute so enorm wichtigen Themen. Nein, natürlich nicht gleichzeitig, das würde uns überfordern, schließlich versuchen wir nebenbei auch noch das Tagesgeschäft zu bewältigen, ohne überwältigt zu werden. Also ganz hübsch, ganz ruhig, nacheinander, höchstens zwei Change-Initiativen gleichzeitig.
Und da alles wichtig und dringend ist, starten wir am besten mit den Themen, die der Geschäftsführung als letztes als ganz besonders relevant angepriesen wurden. Und wenn das Thema dann durch ist, dann starten wir die nächsten.
Die Alternative, wenn das Unternehmen so groß ist, dass eh keiner mehr durchblickt, ist, das jeder bei seinem Thema startet, Hauptsache, es geht etwas voran.
 
Puhhh…. sorry, ist wohl Zeit einen Gang runter zuschalten und keine Sorge, dass hier wird nur ein halber Rant…. Halb, weil in dem was und wie wir es tun (ich schließe mich da nur bedingt aus) natürlich auch Gutes steckt. Schließlich lindern wir damit die Symptome, die „das alte Denken in neuer Zeit“ tagtäglich verursacht. Schließlich ermöglichen wir damit, dass überhaupt etwas passiert!
 
ABER, da wo das Managementdenken und -handeln aus der Mitte des Industriezeitalters auf Arbeit durch und mit Information und Wissen trifft, wo wir nach Konzepten zusammen gearbeitet wird, die früher so gut waren, dass sie vielfach noch heute gelehrt werden (und die dennoch heute, durch Wissenschaft und Praxis nachgewiesen, nicht mehr zielführend und erfolgversprechend sind), wo Linearität weiterhin so beliebt und einfach ist, obwohl mehrdimensionale Systeme das Handeln unserer Umwelt bestimmen, da ist Notwendigkeit und Zeit, sich aufzumachen, nach den Ursachen zu suchen, statt sich zu sehr mit den Symptomen zu befassten.
 
Stellt euch vor, euch Fuß schmerzt immer, wenn ihr zur Arbeit geht. Das erste was ihr macht? Eine Schmerztablette. Eine gute Wahl – die Schmerzen sind 10 Minuten später (erstmal) vergessen…. Doch am nächsten Tag, kaum habt ihr eure Schuhe angezogen, das gleich Thema. Also, ab zum Arzt. Der kann außer einer Rötung und Druckempfindlichkeit nichts erkennen, die Anamnese gibt auch nichts Verwertbares her. Ab ins Röntgen. Aber auch das liefert kein eindeutiges Ergebnis. Vielleicht hilft Physiotherapie?! Tatsächlich, die Schmerzen lassen etwas nach – und doch der Grundschmerz bleibt. Also, eine Woche krankgeschrieben. Und endlich: keine Schmerzen mehr. Symptome verschwunden. Geheilt!
Nach einer Woche, Schuhe an und ab zur Arbeit… und schon auf dem Weg… wieder der gleiche Schmerz im Fuß…
Man könnte die Geschichte jetzt weiter fortführen, man könnte aber auch einfach mal in den Schuh schauen und würde das Stück Stoff entdecken, dass sich in dessen Spitze festgesetzt hat und gegen die Zehen drückt. Kleine Ursache, große Wirkung.

Worum geht’s mir?

Noch immer und immer wieder lassen wir uns von akuten Schmerzen dazu verleiten, uns zu sehr mit den Symptomen zu befassen. Was im Grundsatz gut ist (weil es Linderung verspricht), zumindest, wenn wir zugleich weiter auf der Suche nach den Ursachen bleiben. Symptome sind verführerisch, weil sie Einfachheit suggerieren. Ursachen sind meist komplexer, dynamischer, mehr VUCA als kla(r).
 
Doch wer als Expeditionsleiter in den Dschungel der heutigen Arbeitswelt oder in die Eiswüste der Innovationssuche geht, braucht mehr als Klarheit in einer vor eindrücklichen Eindrücken überbrodelnden Welt. Er braucht die Offenheit über das Offensichtliche hinaus den Dingen auf den Grund zu gehen, sich auf Eventualitäten einzustellen und mit ihnen umzugehen. Auch, und vor allem mit solchen, die erst neben den ausgetretenen Pfaden auftauchen. Er muss sich und sein Team darauf vorbereiten, die Themen tiefer zu evaluieren und sich den Ergebnissen dieser Analysen zu stellen. Und er muss bereit sein, die Möglichkeiten zu nutzen, den Plan zu ändern oder ihn gar zu verwerfen. Er muss bereit sein, aus den Möglichkeiten das Beste zu machen, den Stoff im Schuh zu finden und ihn zum Polstern der Druckstelle am Schienbein zu nutzen.
 
Bei aller Notwendigkeit den Schmerz zu lindern wird es immer wichtiger, sich das große Bild mit all seinen Details, Zusammenhängen und Abhängigkeiten anzusehen. Es wird immer wichtiger dieses Bild zu transportieren, auch in Teilen verständig darzustellen und jedem, der den Wunsch verspürt mehr zu erfahren, auch Einblick in diese Details zu geben, damit die Gruppe derer, die auf die Idee kommen könnten statt nur auf den Fuß auch in den Schuh zu schauen, zu vergrößern. Denn eines wissen wir schon: Wir brauchen möglichst die maximal erträgliche Vielfalt an Ideen und Impulsen, um zukunfts(&)gerichtet agieren zu können.
 
Wie groß die Gruppe derer ist, die dazu bereit sind zeigt sich immer, wenn man in Unternehmen einlädt, miteinander tief in diese Gespräche einzusteigen. (Für mich) Ganz besonders zeigt es sich derzeit im Ergebnisse (m)einer Studie, nach der über 85% der Befragten aktiv an der Zukunft ihrer Unternehmen arbeiten (wollen) aber nur gut 30% angeben, dass sie offiziell den Raum erkennen, dies zu tun.

Mein Appell

Lasst uns aufhören, uns mit der Arbeit an den vielfältigen Symptomen ruhig zu stellen. Lasst uns endlich mehr wagen das Gesamtsystem zu verstehen, die Implikationen zuzulassen und dann gemeinsam an den Lösungsräumen zu arbeiten.
 
Ein Startpunkt dazu kann sein, die Schleusen für einen tatsächlich bidirektionalen Dialog zu öffnen. Ein anderer kann es sein, danach zu fragen, wie viel Raum gute Zusammenarbeit im Unternehmen überhaupt hat, wie die Strukturen und Prozesse aussehen, wo die Stolpersteine verborgen sind. Das wäre mein Weg… Aber Vorsicht, egal, was ihr macht: Das Ergebnis könnte Kopfschmerzen verursachen – aber dagegen gibt es ja einfache Mittel.