>>>Perspektive>>>

Es dauert lange mich zu desillusionieren. Doch ich muss sagen, so langsam macht sich Resignation und Trauer bei mir breit.
 
Wenn ich mich, so wie mehrfach in der letzten Woche, über einige grundlegende Dinge wie organisationale Glaubenssätze, die tief verinnerlichten Menschenbilder und die damit verbundenen Wertemuster mit Menschen (von 23 bis 60 Jahren) auseinandersetze, dann graut es mir mehr, als das ich Hoffnung hege.
 
Was ich in diesen Diskussionen oft höre, erinnert mich an die Welt der Medien. Schlechte Nachrichten und Beispiele machen die Masse der Aussagen aus. Hinweise auf positive Beispiele werden als unwahrscheinliche Glücksfälle und absolute Ausnahmen dargestellt.
 
Natürlich war und ist es eine überlebenswichtige Fähigkeit unseres Gehirns, sich potenzielle Risiken besser und schneller zu merken, natürlich war es wichtig sich zu erinnern, dass bestimmte Tiere, Pflanzen Maschinen und Menschen Gefahren darstellten, aber in der Folge fokussieren wir immer wieder so sehr auf die Negativbeispiele, dass wir das positive nicht erkennen. Mit Blick auf Unternehmen sind es entsprechend viel stärker die 3% der faktisch destruktiv und korrosiv handelnden Kollegen und Mitarbeiter, die das Leben und die Diskussion der 97 % bestimmen.
 
In anderen Gesprächen wird (mir) aber auch klar, dass wir den Tipping Point (fast) erreicht haben. In vielen Organisationen sind 10 % bis 15% der Mitarbeiter / Mitwirkenden / Mitmenschen aktiv, um eine für sie zeitgemäßere Art der Zusammenarbeit zu gestalten. Sie tragen ein Menschenbild in sich, dass darauf abzielt ihre eigenen Potenziale und die der Kollegen zum Wohl des Unternehmens zu nutzen. Sie streben nach Weiterentwicklung und persönlichen wie gemeinsamen neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Sie suchen Lern- und Lehraufgaben. Und doch, so meine Wahrnehmung, scheitern sie an der Angst vor den 3%.

Die Angst vor dem (Job)Verlust

Bei mir häufen sich derzeit die Anfragen nach Aussagen zum „Manager 2025“, nach der Zukunft von Berufen und Strukturen und nach konkreter Unterstützung auf dem Weg in diese Zukunft. Das freut mich natürlich, aber es deutet auch auf die Unsicherheit hin, die in diesen hektischen, unsicheren Zeiten existiert.
 
Am einen Tag boomt die Konjunktur, am nächsten schwächelt sie. Gestern noch war das Großraumbüro der Renner, heute sind Kuschelecken gefragt (ganz ehrlich – die Kuschelecke, der Kickertisch und die Dartscheibe alleine sind nur Makulatur). Sprachen wir letzte Woche noch der der neuen Freizügigkeit im Job, mit neuen familien- und freizeitfreundlichen Arbeitszeitmodellen, von Work-Life-Blending und -Integration, so zwingt ein EUGh Urteil heute dazu, Arbeitszeit im Detail zu erfassen, um die so wichtigen Ruhezeiten einzuhalten und das eine (Work) besser vom anderen (Life) zu trennen zu.
 
Was uns treibt, ist sowohl die Angst nach dem Verlust des Status-Quo, als auch darin zu verharren. Einerseits kennen wir nichts anders, andererseits muss es, frei nach Lichtenberg, anders werden, damit es besser wird. Doch das Neue birgt eben immer auch neue Gefahr. Zugleich sind die Chancen, ganz bewusst dabei auch Besseres zu schaffen, nie größer gewesen als heute, denn nie zuvor wussten wir so viel (über uns).

Wir stehen noch mitten im Basislager

Wie geht es weiter? Wie kann man einen Rahmen schaffen, der den Ausnahmen, die heute die Regel sein könnten, Raum gibt?
 
Der erste Schritt ist fraglos einfach:
Wir sollten beginnen, uns die Zeit zu nehmen, die positiven Beispiele besser zu verstehen. Ich meine damit, dass wir deren Hintergründe und Ursachen reflektierten sollten, um zu erkennen, wo sie uns selbst in unserer, so spezifischen und in jeder Organisation andersartigen Arbeitssituationen helfen. Wir könnten dafür Dokumentationen, wie aktuell die plan_b Doku „weniger Arbeit – gleicher Lohn“ gemeinsam ansehen und nachvollziehen, was die gezeigten Unternehmer und Führungskräfte dazu gebracht hat, Lösungen zu finden, die sie jenseits des Mainstreams sind. Wir könnten Artikel lesen, wie den in der NZZ von gestern über den Taschenhersteller „Freitag“ oder wir könnten ganz einfach und unkompliziert selbst ausprobieren, wie es die Kultur verändert, wenn wir den Pförtner und die Hausmeisterin freundlich grüßen, statt sie zu ignorieren.
Wir können an vielen kleinen Stellen selbst aktiv werden.
 
Doch – und auch das ist Realität: Das Arbeitsparadies ist und bleibt für viele weiterhin eine Utopie. Zu groß sind die Veränderungen, zu langsam sind wir darin uns selbst zu wandeln. Zugleich ist es unumgänglich die Schritte zu gehen, um als Unternehmen mit der Demographie, dem Fachkräftemangel, den Innovationsanforderungen, der Digitalisierung, der Globalisierung der Märkte und den vielen kleinen Problemen des Alltags erfolgreich umzugehen.
 
Der Gipfel, das Ideal scheint verlockend, doch wir stehen am Berg bislang nur im Basislager, suchen noch das Equipment zusammen und müssen uns über die Route klar werden.

Niemand hat die Absicht ein Paradies zu errichten

Das von vielen im Kontext New Work herbeigesehnte Bergmannische Ideal, zu tun, was wirklich, wirklich, wirklich persönliche Bedeutung besitzt, ist noch lange ‚out of reach‘. Das Paradies der Arbeit wird in den nächsten 20 oder 30 Jahren nur ganz, ganz, ganz selten entstehen. Dafür sind wir zu anders sozialisiert, dafür ticken wir – zumindest viele – noch zu falsch.
 
Was aber entstehen kann, was entstehen wird, weil es faktische, wirtschaftliche Notwendigkeiten sind, sind organisationale Rahmenbedingungen, Arbeitsräume, die den Wunsch erzeugen, sich aktiv einzubringen, die Befriedigung, Zufriedenheit ja vielleicht sogar Spaß zulassen und gegebenenfalls sogar dem eigenen Lebens-Sinn entsprechen.
 
Das kommt nicht von allein. Es erfordert die richtigen Fragen zu stellen und sich Gedanken zum Manager und Leader der Zukunft zu machen. Es erfordert etablierte Muster unter die Lupe zu nehmen und neue zu verankern.

Die Angst vor dem Übergang

Wird die Zukunft der Arbeit disruptiv? Wohl kaum! So sehr wir fundamentale Innovation in Technologien bewundern, die soziale Technologie ‚Management‘ wird sich nur in kleinen Schritten verändern. Dazu sind wir zu sehr in unserem Menschsein gefangen und dafür ist der Sprung in Richtung ‚100%iger organisationaler Menschlichkeit‘ zu oft zu groß.
 
Dennoch gilt es auf zwei Dinge zu achten: Zum einen sollten wir den Übergang tatsächlich ernst nehmen und gestalten wollen (auch, um wie die Positivbeispiele wirtschaftlich erfolgreicher und vielleicht auch nur überlebensfähiger zu sein) und zweitens sollten wir im Auge haben diejenigen einzubeziehen, die jetzt schon aktiv sind. Sie zu übergehen, um die 3% ich Schach zu halten, ist der wohl fundamentalste Fehler den Organisationen machen können.
 
Als Unternehmer, wie als Mitarbeiter habe ich immer die Wahl. Will ich mit den 10% – 15% der Kollegen gehen, die das Unternehmen positiv weiterentwickeln wollen oder fokussiere ich auf die 10% (und am Ende sind es eher 3%), die sich tatsächlich aktiv verweigern?
 
Will ich eine vermeidlich unsichere Zukunft oder will ich einen wahrscheinlich sicheren Untergang?
 
Zugegeben, aktuell ist aus meiner Sicht die Notwendigkeit Unternehmen nicht nur technologisch-digital, sondern auch sozial-technologisch (bzgl. der Rahmenbedingungen für Zusammenarbeit) weiter zu entwickeln, so groß wie nie – aber bislang war auch kein vorhergehendes Zeitalter so schnell, dynamisch und komplex wie das unsrige.
 
Das wir diese Chance verpassen könnten ist das, was mich wirklich traurig und betroffen macht. Denn sie ist am Ende auch grundlegend für die Zukunft unserer Gesellschaft.