>>>> Ein Reflexionsimpuls

 
Vor ein paar Wochen hatte ich den Rand so richtig voll.
Der Parkplatz vor unserem Haus, auf dem im Normalfall mein Auto steht, hatte an vielen Stellen seine Farbe verloren. Statt eines satten Grüns war das Grau des Unterbaus sichtbar. Die untergemischte Erde war weggespült, dem Gras fehlte im Grunde alles, was es am Leben hätte halten können. Was mal so schön geplant und auch gemacht war, hatte sich verwandelt – war unansehnlich geworden. Nicht über Nacht, sondern schleichend und damit so, dass ich immer wieder verschoben hatte etwas dagegen zu tun. Bis vor ein paar Wochen.
 
Nein, ich werde hier nicht über die erstaunliche schnelle, wirksame und (hoffentlich) nachhaltige Arbeit an meinem Parkplatz berichten, jedenfalls nicht zu viel. Mir geht es darum, wie, woran und wann man erkennen kann, dass es Zeit ist, sich neu zu orientieren, das bestehende aus einer distanzierteren Perspektive zu betrachten, um dann zu tun, was (einem selbst und) dem Unternehmen guttut.
 
Aber, von vorne: Wenn ich mich umblicke, dann nehme ich an vielen Stellen eine zunehmenden und leider gar nicht mehr so neue Orientierungslosigkeit wahr. Der wohl dominanteste Einflussfaktor ist, wieder mal, unsere heutige Art zu kommunizieren, unser Wissen auszutauschen und miteinander Geschäfte zu machen. Schneller, größer, weiter – das Internet macht’s schon lange möglich. Und dabei steht diese Entwicklung, wie alle bahnbrechenden, umfassenden Entwicklungen der Menschheit, noch an ihrem Anfang. Die Digitalisierung und Automatisierung, die Mensch-Maschine-Einheit wird in den kommenden Jahren noch deutlich an Bedeutung gewinnen – auch wenn wir in Deutschland hier massiv hinterherhinken.
 
Dieses Hinterherhinken, gekoppelt, unser Umgang mit dem zunehmend schnelleren Wechsel von „Ist-Zuständen“ (Dynamik) und der wachsenden Anzahl von Einflussgrößen auf Entscheidungen und Aktivitäten (Komplexität), führen zu einem, wie ich es sehe, exponentiellen und gefährlichen Anstieg der Wahrnehmung von Unsicherheit. Unsicherheit auf einem, für ein wirtschaftlich sehr weit entwickeltes Land, erstaunlich hohen Niveau – was dem individuellen Gefühl aber ehrlich gesagt, vollkommen egal ist.
 
Die Unsicherheit ist da und wächst, ohne, dass wir uns in der Lage sehen, ihr zu begegnen. Der Lösungsansatz der Ambidextrie, des „sowohl-als-auch“s im Umgang mit dem Angang neuer Wege, erscheint in der alten Logik des linear Planbaren zu wage, die Mehrdeutigkeit zu schwierig und kostspielig aufzulösen. Was wäre schließlich, wenn man auf die falschen Pferde setzt. Da bleibt man halt lieber auf dem alten, müden Gaul sitzen.
 
Früher hat es geholfen, sich Rat von den klassischen Institutionen zu holen. Die religiösen oder politischen Führer, die großen Wirtschaftsbosse, die klassischen Bestimmer des Schicksals einer Gesellschaft und eines Landes, waren es, die (vor)dachten und lenkten. Heute haben sie längst kein griffiges Konzept mehr, um mit dem Wandel, den auch sie wahrnehmen, umzugehen. Das Resultat: ein Mangel an klaren Aussagen, ein „wir tun ja was, aber bitte immer nur so wenig wie möglich und höchstens so viel wie nötig“ und viel Stillstand. Schlimmer: Orientierungsloser Stillstand. Wir stehen im Nebel, und halten es für zu gefährlich uns zu bewegen, weil wir ja hören, dass da draußen ganz viel Bewegung ist und wir mit diesen Geräuschen zugleich nichts (mehr) anfangen können.
 
Die alten meinungs- und handlungsleitenden Institutionen sind heute durch eine unglaubliche Vielfalt an Nachrichten, Interpretationen, Kommentaren und Meinungen – auch und vor allem hier in den „social media“ – ersetzt worden. Wegweisern, die es erfordern, uns selbst mit den zuvor- und zugrundeliegenden Entwicklungen aktiv zu befassen, sie zu verstehen und uns in die Lage zu versetzen, sie im Kontext unserer moralischen und ethischen Vorstellungen zu interpretieren. Ganz ehrlich – wer macht das? Und wer ist dazu überhaupt zeitlich und intellektuell in der Lage. Ich habe bei vielen Dingen aufgehört, sie auch nur verstehen zu wollen.
 
Zurück bleibt Ratlosigkeit und Lähmung. Zu viele ungelöste Fragen und zu viele unkonkrete Antworten. Schlimmer noch: In dem Gefühl der Orientierungslosigkeit haben wir die Fähigkeit verloren, Chancen und Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Wir glauben nicht mehr nur an unsere erlernte Hilflosigkeit – wir glauben auch daran, dass es gar keinen gangbaren Weg mehr gibt.
 
Es stellt sich die Frage: In welcher Welt wollen wir eigentlich leben, in welcher Welt wollen wir zurechtkommen, in welcher Welt wollen wir arbeiten? Woran, und an wem, trauen wir uns zu glauben? Wem vertrauen wir in einer Welt, die uns zu Misstrauen erzogen hat und die uns mit Nachrichten und Informationen überschüttet, deren Wahrheitsgehalt und Relevanz wir nicht mehr auf einfachem Weg bestimmen können?
Welcher Weg führt aus diesem Dilemma?
Nein – auch ich habe keine eindeutige, einfache Lösung!
 
Was ich habe, ist ein Verständnis für grundlegenden Komponenten einer möglichen Lösung. Was immer wir tun können, es wird Werte und Themen beinhalten wie „Vertrauen“, „Offenheit“, „Leichtigkeit“, „geniale Einfachheit“, „Verständlichkeit“, „Modularität“, „Respekt“, „Toleranz“. Wir selbst brauche dafür das (wiedergewonnene) Verständnis, dass wir anpassungsfähig, innovativ, flexibel, schnell, bedacht, resilient agieren und reagieren können. Das in uns steckt, was wir brauchen, wenn, ja wenn wir es wagen, den Nebel zu verlassen.
 
Was darin mitschwingt, ist der „Rückgriff“ auf die Nutzung der „Intelligenz der Vielen“, die Nutzung dessen, was Cicero uns in „de res publica“ hinterlassen hat und was wir im positiven, inkludierenden Sinn als Gemeinwesen verstehen. Einem Gemeinwesen, dass für sich eine „Herrschaftsform“ findet, die zeitgemäß die Gegebenheiten und Notwendigkeiten abbildet. In Unternehmen in einer Form, die die Managementstrukturen so anpasst, dass sich der bestmögliche und bestgeeignete Mix an Bürokratie , Meritokratie (dem, was wir als „Leistungsgesellschaft“ verstehen), Adhocracy (der „Herrschaft“ der schnellen, spontanen, agilen Partizipation) und in Zukunft vielleicht auch Virtuecracy ( der „Herrschaft“ der erzielten Wirkung) ergibt.
 
In aller Kürze bedeutet das, dass niemand mehr allein die Herausforderungen der Zukunft voraussehen, voraussagen oder gar lösen kann. Wir können, müssen und sollten und zusammentun. In der Gesellschaft und vor allem auch in Unternehmen.
Doch davon sind wir weit entfernt.
 
Ich habe ihn den letzten zwei Jahren verschiedene Umfragen durchgeführt und begleitet. Das einhellige Ergebnis sind – und das bitte alles NICHT als Bashing verstehen, denn mir geht es darum dennoch einen Weg aufzuzeigen -:

  • ein Mangel am Verständnis für dynamische Fähigkeiten im Management (kein Wunder, denn diese sind selten Thema von Aus- oder Fortbildungen),
  • zunehmende Aktivität und Unruhe auf allen Ebenen der Unternehmen, mit dem Ziel, die als fehlend wahrgenommenen, zukunftsgerichteten Aktivitäten des Managements auszugleichen

und

  • eklatant schlechte Rahmenbedingungen auf der Ebene der Basis guter Zusammenarbeit, d.h. z.B. bei der Kommunikation, Partizipation, Nutzung von Chancen, Wertschätzung u.v.a.m. .

Dies alles zudem gepaart mit einem immer wieder zu erkennenden blinden Flecken bei Top-Führungskräften und deren, zumindest nach außen getragenen, rosaroten Brille bei der Beurteilung der Situation. (Mehr Infos zu den Umfragen gerne auf Anfrage.)
Was braucht es noch, wenn wir in und als Unternehmen wieder Orientierung erlagen wollen.
 
Die Kollegen von McKinsey haben in einem ihren letzten Podcasts die Bedeutung von „Organizsational Health“ für jedwede Entwicklung innerhalb von Organisationen, insbesondere bei Change und größeren Transformationen und organisationalen Metamorphosen herausgestellt. Schon der römische Dichter Juvenal rief seine Mitbürger dazu auf, statt die Götter ohne Betrachtung der Konsequenzen mit törichten Bitten zu belästigen, sie doch nach „mens sana ich corpore sano“ zu bitten, nach einem gesunden Geist in einem gesunden Körper. Ähnlich ist es in Unternehmen, statt zu hoffen, dass die Veränderungen für sich neue Orientierung bieten, sollte der Prozess mindesten von drei Seiten aus angegangen werden.
 
Zum einen ist auch hier der gesunde Körper wichtig. Im Fall von Unternehmen sind dies allem voran die Rahmenbedingungen auf denen das Zusammenspiel der Komponenten, der Organe und Muskeln, der Knochen und Nerven aufbaut. Neben den Strukturen und Prozessen gehören hier auch die Kultur und die Kommunikationswege und -eigenarten dazu. Ein gesunder Organisationskörper, der ohne Wehwehchen, ohne Ballast und schmerzfrei (er)agieren kann ist die Grundlage. Ein Grund warum ich daran arbeite, Hemmnisse, Stolpersteine, überflüssige Bürokratie und Prozesse in Unternehmen soweit wie möglich zu reduzieren. (Was McKinsey seit ein paar Jahren als „Organizational Health Index“ vermarktet betrachtet AGILITYINSIGHTS seit mehr als 16 Jahren im Kontext der „Agile Insights“. Am Montag, dem 14.10. hält Lukas Michel dazu, bzw. zum „Agilen Paradigmenwechsel“ ein kostenfreies Webinar.
 
Zum zweiten: der gesunde Geist. Das Zusammenspiel von gesundem, gemeinsamem Menschenverstand und gesundem, gemeinsamem Menschengefühl. Der Austausch, die Möglichkeit sich einzubringen, die Chance zur Partizipation, um den oftmals vielen guten Ideen und Impulsen Raum und Stimme zu geben. Hier wird im alten Verständnis einer „von oben“ lenk- und planbaren Organisation, einer aus der Vielfalt der Beteiligten geborenen, oder zumindest wahrgenommenen Notwendigkeit festgelegter Ziele, noch zuviel vorhandenes intellektuelles Potenzial liegen gelassen. Ein Bereich den z.B. CoRE sehr direkt angeht.
 
Zum dritten sollte der Weg, gerade wegen der bestehenden Orientierungslosigkeit in kleinen, klaren Schritten gestartet werden. Den Rubikon-Prozess als Leitlinie nutzend, kann man beginnen das eigentliche Bedürfnis, z.B. nach (neuer) klarer Orientierung in Richtung Zukunft klar zu benennen. Und gerade diese Orientierung ist in der heutigen (Um)Welt leider keine Selbstverständlichkeit mehr.
 
Im zweiten Schritt wird das Motiv benannt: Will ich als Top-Führungskraft wieder in die Lage kommen, zukunftsweisend agieren zu können? Will ich „nur“ den Profit und/oder den Erfolg kurzfristig optimieren oder langfristig und nachhaltig etwas für das Unternehmen und die Menschen darin tun? Ein Motiv kann ebenso sein, im allgemeinen Chaos endlich wieder „ruhig“ die „richtigen“ Schritte gehen zu können.
 
Anschließend geht es um erste, bewusst kleine Impulse, s.d. aus dem Motiv etwas konkreteres entstehen kann. Einfach ist, Menschen ins Unternehmen einzuladen, die zu einzelnen kleinen Elementen und Entwicklungsrichtungen konkrete Erfahrungen, Reflexionen und Impulse einbringen. Es geht erstmal nur darum miteinander zu reden und zu schauen, ob das was da eingebracht wird, im Unternehmen auch anknüpfungsfähig ist.
 
Ist damit klarer, wohin erste weitere Schritte möglich sind, können die Dialoge und Diskussionen zu den Fokusthemen vertieft und intensiviert werden. Ob nur intern oder im Mix mit weiteren Impulsgebern – beides ist möglich. Wichtig ist, aus der Theorie Optionen für eine konkrete praktische Umsetzung dieser kleinen Schritte zu gewinnen, um dann, im letzten Schritt tatsächlich mit der Gestaltung ‚einer‘ der vielen möglichen Zukünfte zu beginnen.
 
Was hier nach einem langen Prozess klingt, geht verblüffend schnell, wenn die Bereitschaft besteht, sich seines Motivs klarzuwerden. Es geht nur um die eine kleine, einfach Frage: Will ich das Unternehmen in der Zukunft bringen und wenn ja, bin ich bereit, mich mit neuen Orientierungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen?
Eine Frage, die (für mich) im Grund keine Frage sein kann und darf.
 
Und zum Schluss dann doch noch eine Warnung. Es gibt auch in unseren „modernen” Zeiten viele Propheten, die zu wissen vorgeben, wie und wohin sich euer Unternehmen entwickeln soll und kann. Sie kommen mit allerlei Fläschchen und Tinkturen, sie haben Lösungen in ihren Schubladen, die „erfolgreich“ schon in zig Unternehmen implementiert wurden….. Wie viele davon waren wohl auch schon bei den Unternehmen, deren Pleiten in den letzten Jahren durch die Medien gingen…?
 
Das Gras auf meinem Parkplatz wächst übrigens wieder. Es wächst nicht schneller, wenn ich daran ziehe, aber das brauche ich auch nicht, denn ich habe ihm Rahmenbedingungen gegeben, die Erde, den Dünger, das Wasser, das Licht und Kohlendioxid, die es ihm leicht machen, sich zu entfalten. Manchmal ist es einfach, wenn man nur auch anfängt.