>>>> Reflexionsimpuls

Den folgenden kurzen Beitrag verbreitete ich letzte Woche auf Linkedin.
„Das Lustige und traurige zugleich.
Wir wollen zusammenarbeiten – und haben verlernt zusammen zu arbeiten.
Zusammen arbeiten heißt
– sich zu unterstützen,
– Hemmnisse aus dem Weg zu räumen,
– gemeinsame Werte zu pflegen und zu verteidigen,
– zusammen zu lernen,
– zusammen zu feiern,
– zusammen ein Ziel zu haben und es zu erreichen,
– zusammen Erfolg zu haben.
Es geht um die Basics und es geht um das Gesamtverständnis von Arbeit, Erfolg und Zukunft.
Zusammenarbeit war gestern. Die Zukunft liegt im zusammen arbeiten.“
Im Grunde alles banal, oder?
Warum scheinen wir uns dann dennoch mit dem Thema einfach.gute.zusammen.arbeit so schwerzutun? Woran scheitert wir, wenn wir doch schon jahrtausendelang von guter Zusammenarbeit überlebensnotwendig abhängig waren?
Wie sehr hängt der Erfolg eines Fußballvereins von ganz anderen Dingen als dem Zusammenspiel der Akteure auf dem Platz ab?
Was passiert, wenn im Formel 1 (oder Formel E) Renner, ein kleines Zahnrad bricht?

Das Wohl und Wehe von Abhängigkeiten

Als einem der zentralen Fokuspunkte hat gute Zusammenarbeit mit den tatsächlichen und auch den wahrgenommenen bzw. gefühlten Un-/Abhängigkeiten zu tun, die Organisationen ganz natürlich beinhalten (müssen).
Sich diese Un-/Abhängigkeiten zu verdeutlichen ist für einfach.gute.zusammen.arbeit enorm wichtig.
Meine Abneigung gegen Verschwendung, insbesondere der von Lebenszeit, ist einer der Gründe, warum ich mich so intensiv mit der Weiterentwicklung von Zusammenarbeitsstrukturen befasse, denn schlechte Zusammenarbeit kostet so unglaublich viel. Nicht nur das Unternehmen, indem die Produktivität und die Kreativität sinkt, oder aus lauter Frust Dinge bewusst und unbewusst nicht umgesetzt werden. Sie kostet jeden einzelnen von uns Nerven und Zeit. Das Ergebnis von dauerhaft schlechter Zusammenarbeit sind Frust, Demotivation, Sarkasmus bis hin zum Zynismus – kurz, es entsteht negativer Stress und ein tatsächlich giftiges Arbeitumfeld.
 
Die Wahrnehmung von Verschwendung hat dabei oft mit tatsächlicher und wahrgenommener Un-/Abhängigkeit zu tun. Das Phänomen tritt dabei überall auf. Im Straßenverkehr genauso, wie an der Supermarktkasse oder bei der Arbeit an Maschinen, Computern und mit anderen Menschen. Wer nicht wirklich, wirklich, wirklich ganz frei ist von Interaktion, ist abhängig. Abhängigkeit, die sich in diesem Kontext in Regeln und Normen, in Strukturen und Prozessen und vor allem in Kommunikation und Nicht-Kommunikation, in guter oder mangelnder Abstimmung und In-/Transparenz darstellt.
In jedem von uns gibt es das Bestreben nach der Bestätigung von Selbstwirksamkeit, in Gruppen geht es uns um die gemeinsame Wirkung, die wir erzielen. Zugleich scheitern wir zu oft an den Abhängigkeiten, die beim Versuch zusammen zu arbeiten ganz natürlich entstehen und die uns die angestrebte Selbst-/Wirksamkeit rauben.
Und damit entsteht ein Teufelskreis, den es zu analysieren und zu durchbrechen gilt, denn seine Folgen nagen tief in uns. Abhängigkeiten, denen wir uns machtlos ausgeliefert sehen, erzeugen in hohem Maß negativen Emotionen, die wir im Unternehmen, die ja häufig kaum daraus ausgerichtet sind Emotionen zuzulassen, nur selten be- und verarbeiten können und mit denen wir daher dann nachhause gehen.
Gesund ist das alles nicht, weder für den einzelnen, noch für die Organisation. Organizational Health ist nicht umsonst ein Thema, für das Unternehmen zunehmend Beratung mit an Bord holen. Schließlich ist es einerseits komplex und andererseits fehlt oftmals die Expertise und Diagnose- bzw. Analysekompetenz.
 
Der Gang zum Arzt, der im privaten so normal wie notwendig ist, die Nutzung von Gesundheits-, Fitness- und Ernährungsexperten, ist im Organisationskontext hingegen bislang wenig etabliert. Um so bemerkenswerten, dass Jürgen Klopp, der Trainer des FC Liverpool, über Mona Nemmer, die Leiterin der Ernährungsabteilung des Vereins, sagt: “der einzige wirkliche Weltklassespieler ist Mona“. Das ist positive Wahrnehmung eines gemeinhin als „Randbereich“ wahrgenommenen Themenbereichs und zugleich einer, die Gemeinschaftsleistung optimal unterstützenden „Abhängigkeit“. Einer Abhängigkeit, die er selbst als einen „Supertransfer“ bezeichnet, auch weil Mona Nemmer die Aufgaben hat(te), in ihrem Bereich die Rahmenbedingungen für optimale Leistung aller zu schaffen. Hier ist Jürgen Klopp ein echter Vorreiter und ein Beispiel, wie auch in Unternehmen agiert werden könnte.
Doch, wie schafft man solche positiven Abhängigkeiten? Wie schafft man den Raum dafür, dass eine wirksame gegenseitige Unterstützung und optimale Leistung stattfinden kann?
Notwendig hierfür ist den Blick zu heben und das Gesamtspiel zu betrachten. Nicht nur der einzelne Spieler auf dem Platz, nicht nur der Fahrer des Formel-X Boliden, sondern eben jeder ist wichtig um in einem komplexen, dynamischen, schnelllebigen Umfeld zu punkten und Erfolg zu haben.

Den „Gesundheitsexperten“ für die Organisation etablieren 

Schon sind wir damit bei dem, was Menschen wie Jürgen Klopp auszeichnet. Alle im Blick zu haben und sie gezielt bei dem zu unterstützen, was sie einbringen und womit sie sich und alle noch besser machen können. Das ist Führung, wie sie heute notwendiger denn je ist. Führung, die nicht limitiert und in die Schranken weist, sondern Führung, die Räume eröffnet um auf die Ressourcen vertrauen zu können und sie optimal zu nutzen. Führung die Sicherheit und Unabhängigkeit gibt und zugleich auf positive Abhängigkeiten setzt.
Doch solche Führung tut sich schwer, wenn die (Organisations)Systeme, und mittendrin die Menschen, ständig mit alten, überkommenen und hinderlichen Regeln, Strukturen und einengenden Leitplanken voll be- und überlastet sind.
Wo also beginnen, diesen Teil der Zusammenarbeit leichter und besser zu machen?
Vieles ist tief in dem Gesamtgebilde „Unternehmung“ verankert, manches „nur“ in unserer Konditionierung und Sozialisierung.
Vom gewünschten oder unbewussten internen Wettbewerb um Budgets, Boni oder auch nur um Aufmerksamkeit bis zu teils lange brodelnden Konflikten. Es gibt vieles, was man in den Blick nehmen sollte. Ein Ding der Unmöglichkeit sollte man meinen.
 
Doch – und auch das erkennt man am Beispiel des FC Liverpool – es ist möglich, wenn man jemanden explizit und frei mit dieser Aufgabe betreuen kann. Es bedeutet natürlich eine Investition in neue Ressourcen, oftmals ohne deren tatsächlichen Mehrwert im Vorfeld abschätzen zu können. Doch wie der Trainer des FC Liverpool starke Zweifel daran hatte, das die Art und Zusammenstellung der Ernährung für die Spieler und damit für den Verein förderlich ist, so können und sollten auch Unternehmer und Unternehmen hier „neue” Wege ausprobieren. Umso leichter, wenn klar ist, dass gerade hier auch viel mit externer Unterstützung – sozusagen dem Gesundheitsexperten fürs Unternehmen – angegangen und umgesetzt werden kann.

Die so erzielbare kulturelle Wirkung ist oft unterschätzt

einfach.gute.zusammen.arbeit ist ein kulturelles Thema. In meiner Betrachtungsweise besteht Kultur aus drei Komponenten: Den (vorgegebenen) Regeln und Normen, den „Regelwächtern“ und den „Regelbefolgern“ (oder, ebenso wichtig fürs System, den „Regelbrechern“). Anders ausgedrückt: Aus den Normen, Vorgaben und Strukturen, die in einer Organisation vorgegeben werden, aus den Führungskräften, die versuchen diese Normen ein- und umzusetzen und zwischen allem zu vermitteln, und aus den Menschen, die diese Normen akzeptieren, weil sie deren Wert verstehen und teilen, bzw. denjenigen, die diese Normen in Frage stellen und brechen, weil sie ihnen keinen Mehrwert liefern.
 
Um zurück zum Gesundheitszustand von Unternehmen zu kommen: (Auch) wenn es natürlich von den Menschen, den Regelwächtern, -befolgern und -brechern anhängt, wie das Zusammenspiel funktioniert, so liegt der wirksamste Hebel für eine Veränderung in der zielgerichteten Schaffung geeigneter und gerne akzeptierter Rahmenbedingungen, Regeln und Normen. Die Spieler des FC Liverpool könnten natürlich woanders essen, aber warum sollten sie das tun, wenn es erstens so einfach, zweitens so gut und drittens so förderlich für sie ist, sich auf Mona Nemmer und ihr Team zu verlassen. Sie hat Rahmenbedingungen geschaffen, die es zu einer Freude machen, die neuen Regeln einzuhalten.
An welchen und wie vielen Stellen wenig hilfreiche Normen einer guten Zusammenarbeit im Weg stehen, tritt immer wieder zu Tage, wenn wir einen der umfasenden AGILITYINSIGHTS „Health & Fitness Checks“ – wir nutzen dafür unsere „Agile Toolbox“ – durchführen. Die Analyseergebnisse zeigen im Detail auf, wo Hemmnisse und Störungen existieren, aber auch, wo und welche „Organe“/Bereiche, optimale Bedingungen vorfinden.
 
Um nur ein Detail zu nennen: Ganz klassisch arbeiten noch immer viele Unternehmen, auch wenn sich der Kontext inzwischen vielfach in Richtung von schnell veränderlicher Wissensarbeit gewandelt hat, mit einem auf „industrielle“ Höchstleitung ausgerichteten Zielsystem, wie MbO („Management by Objectives“), gerne auch mit Individualzielen. Zwar wird hier nach Lehrbuch gearbeitet, aber eben nach einem, dass für eine andere Zeit geschrieben wurde. Wie im Bereich der körperlichen Gesundheit, haben auch hier in den letzten Jahren viele neue Erkenntnis ihren Weg gebahnt.
Wo MbO dennoch noch genutzt wird, ist es ein Schuss, der, bei den heutigen Anforderungen in den meisten Unternehmen, oftmals nach hinten losgeht. Natürlich geht es nicht darum, auf Ziele zu verzichten. Im Gegenteil, ein klarer Zielkorridor ist wichtiger denn je, aber es geht darum, diesen Korridor nicht mit falschen Regeln und Maßnahmen zu verstellen. (Eine Alternative stellt z.B. die gemeinsame Ausrichtung der Ziele mit Hilfe der sog. „Leadership Scorecard“, eines Teils der AGILITYINSIGHTS Ergebnisdarstellung dar.)

Tipps und Hinweise

Weil auch ich oft erst um Arzt gehe, wenn es „spät“ ist, gebe ich euch ein paar Hinweise mit auf den Weg, um die ersten Wehwehchen zu überstehen – in der Hoffnung, dass ihr dennoch zum „Arzt“ geht, wenn keine substanzielle Besserung eintritt!

  1. Macht euch das Gesamtsystem mit den positiven und negativen Un-/Abhängigkeiten bewusst und transparent, z.B. hilft es, sich die Wertschöpfung und die Wertbeiträge genauer anzusehen.
  2. Hinterfragt die Zusammenhänge und die Un-/Abhängigkeiten. Welchen Mehrwert in Bezug auf das Ziel der Organisation liefern sie?
  3. Artikuliert konkrete Verbesserungs- und Anpassungsvorschläge, um sie im geeigneten Plenum zu diskutieren. Dabei liegt die Herausforderung darin, dieses Plenum zu identifizieren. Dies hängt von der Reife und Fähigkeit der Organisation ab, mit Kritik am Fundament (aka den Regeln und Normen) umzugehen.
  4. Bezieht aktiv alle in den Dialog mit ein, die von der Anpassung betroffen sind und gebt ihnen Raum und Gehör. Konsultative Entscheidungsprozesse bergen hier große Vorteile.
  5. Verfeinert der Verbesserungsvorschlag auf Basis des Feedbacks, geht eine erste konkrete Umsetzung an und achtet auf die Auswirkungen.

Im Zusammenhang mit Änderungen „am und im“ System ist es immer wichtig, eine Balance zwischen zugestandener Autonomie und der Wahrnehmung psychologischer Sicherheit zu schaffen. Wir brauchen alle das Gefühl der Sicherheit und ein Freiheit(en) gebendes und zugleich herausforderndes Umfeld, um optimale Leitung zu erbringen. Ein „gesundes“ Unternehmen, ohne behindernde Abhängigkeiten, ist dafür eine wichtige Voraussetzung.
 
In diesem Sinn: Gute Gesundheit und eine erfolgreiche Zukunft!