Wäre Steve Jobs nicht so respektlos gewesen, hätte er sein Ego nicht (bewusst) an vielen Stellen höher priorisiert, als sie geltenden gesellschaftlichen Normen, dann wäre das Internet wahrscheinlich noch nicht so mobil, so sehr jederzeit und überall verfügbar, wie wir es heute kennen. Auch Musikstreamingangebote wären anders und Windows das wahrscheinlich einzige relevante Betriebssystem bei PCs. Viele Dinge hätten sich anders entwickelt – ob man sein Verhalten nun gutheißt oder nicht.
Respektlosigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist sie notwendig, um das Denken in neue Richtungen zu lenken und die eingelaufenen Pfade zu verlassen, andererseits ist sie eine tückische Gewohnheit, die Werte torpediert und das Miteinander erschwert.  
 
In Unternehmen wird dieses Dilemma immer wieder offensichtlich. In manchen wird händeringend nach Querdenkern gesucht oder zumindest versucht sie zu erdulden, zugleich wird toxische Respektlosigkeit, sowohl von Individuen wie auch als Teil der institutionellen „Spiel“regeln und Routinen, oft geduldet oder gar verstärkt.
Querdenker sind Balancekünstler der Respektlosigkeit und wandeln bei dem, was sie tun, immer wieder auf einem schmalen Grat. Sie sind häufig Menschen, die gezielt Respektlosigkeit aufbringen, um Impulse zu setzen und auf institutionelle Respektlosigkeiten hinzuweisen. Werden sie nicht geduldet, resultiert dies häufig „nur“ in einer gebremsten Weiterentwicklung, verminderter Innovationsfreude und einem „weiter so wie bisher“.
 
Aber über Querdenker wurde in den letzten Jahren, auch von mir, schon genug geschrieben. Ich fokussiere mich hier daher auf den Bereich, der stärker für verletzte Gefühle, unbefriedigte Bedürfnisse und eskalierende Konflikte steht.
 
Doch bevor es hier um die negative Seite von Respektlosigkeit geht, möchte ich eine Grundannahme vorweg stellen: Aus meiner Sicht kommen in Unternehmen mündige Erwachsene zusammen, die in verschiedenen Rollen und unterschiedlichen Aufgaben an einem gemeinsamen Ziel arbeiten sollen, können und wollen. Ich sehe sie daher bis zum Beweis des Gegenteils als verantwortlich und verantwortungswürdig, als sozial und fachlich kompetent und im Wesentlichen den gesellschaftlichen Normen ‚verpflichtet‘ an.
 
Im Alltag nehmen wir Respektlosigkeit auf der individuellen Ebene deutlicher wahr, als die institutionelle. Ihre Folgen reichen bis zum Mobbing und psychischer Einschüchterung. Manche nutzen sie aktiv, um ihre Autorität herauszustellen oder zu festigen. Sie ist bis heute ein nicht zu unterschätzendes Machtinstrument und eines, dem sich die Betroffenen selten auf einfachen Wegen entziehen können. Selbst wenn es gelingt sich der Person zu entziehen und die Herabwürdigungen auszublenden, so sitzt der Stachel oft tief und verstärkt Selbstzweifel und Angst.
Allzu häufig liegt dem, bei beiden beteiligten Seiten, ein die jeweilige Person übermäßig stärkendes oder (ebenso) übermäßig schwächendes Menschenbild zugrunde. Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der eigenen Person und der des Gegenübers.
Manche Führungsstile fördern Respektlosigkeit bzw. drücken diese direkt aus, z.B. eine Laisser-faire-Haltung, die schnell als Gleichgültigkeit wahrgenommen werden kann. Ebenso gefahrvoll sind Inkonsequenzen und die Wahrnehmung von „Beliebigkeit“ in Aussagen und Entscheidungen.
Aus solcher Führung entstehen leicht sinkende Motivation und Leistungsbereitschaft, sowie steigende Fehlzeiten und Krankheitskosten. Nicht nur die Finanzchefs sollten sie also für ein ernsthaftes Thema halten.
 
Nicht ganz so leicht zu erkennen und zugleich enorm verbreitet sind institutionelle Respektlosigkeiten. Leicht werden diese sogar als gesellschaftliche oder organisationale Norm wahrgenommen und nicht weiter hinterfragt. Gerade diese Form des „disrespect“ verursacht jedoch hohe Opportunitätskosten. 
Zu finden sind solche Abwertungen in (zu) strickten bürokratischen Vorgaben, in Bevormundungen und in „kulturellen“ Normen und Regeln. Anzeichen sind mangelnde Transparenz, fehlendes Zutrauen, nicht gesehenen Fähigkeiten & Talenten und nicht eingehaltene Vereinbarungen. Mancherorts sind etablierte Entscheidungsprozesse so gestaltet, dass nicht fachliche Kompetenz entscheidet, sondern allein die hierarchische Position. Auch unterschwelliges Misstrauen kann zu Respektlosigkeit führen und steht ohnehin der Aktivierung vorhandener Potenziale im Weg. 
Wie auch immer sich das Problem ausdrückt, es führt mittel- und langfristig zu Stress und Widerstand und damit zu einer schrumpfenden Leistungsbereitschaft und sinkender Arbeitsqualität.
 
Selbst im Wording, wie etwa in so positiv besetzen Begriffen wir „empowerment“ zeigt sich, welchen Umgang wir miteinander pflegen. Einen Satz, der dies auf den Punt bringt, habe ich vom Global Peter Drucker Forum in der letzten Woche mitgebracht: „people have the power already, they empower others to lead them!“ Es lohnt sich das im Kontext das so positiv gemeinsten Empowerments in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. 
 
Gerade institutionelle Respektlosigkeit ist häufig gut versteckt oder zugleich so präsent, dass wir sie kaum bemerken und doch in Tiefe wahrnehmen. Sie verrät viel über die, tief in den Arbeitsalltag eingewobenen Glaubenssätze und kulturellen Normen. Beispiele dafür und Impulse für neue Glaubenssätze habe ich vor Jahren in einem kleinen Bildband zusammengetragen.  
Wie man beim Wunsch nach mehr Vertrauen zunächst das Misstrauen eingrenzen muss, ist es notwendig als Grundlage für mehr gegenseitigen Respekt die ggf. vorhandene Respektlosigkeit zu überwinden. Insbesondere die institutionell verankerte. Wo Leitplanken, Spielregeln, Routinen und Prozesse immer wieder einen eklatanten Mangel an Respekt ausdrücken, kann dieser auch nicht wachsen! Dazu lohnt es, sich klar zu machen, worum es bei der Arbeit im Unternehmen wirklich geht. Was ist eigentliche Ziel und was muss getan und ggf. verbessert werden, um dieses Ziel so leicht es geht zu erreichen?
 
In ihrem neuen Buch „Humanocracy“ zeigen Gary Hamel und Michele Zanini die negativen Folgen von einem wichtigen Teilaspekt institutioneller Respektlosigkeit, der Bürokratie, auf und geben gleichzeitig Impulse, wie man hier ‚neue‘ Ankerpunkte für den Umgang miteinander setzen kann, z.B. durch

  • den Übergang von Individualzielen zu Teamzielen
  • das Sicherstellen, dass alle Jobs sowohl fachliche, wie auch Führungsaufgaben beinhalten
  • die Möglichkeit im Team über Neueinstellungen und die eigenen Gehälter frei zu entscheiden
  • die Chance Teammitglieder durch unterschiedliche Rollen rotieren zu lassen, um so deren Erfahrungsschatz und Kompetenzbereich zu erweitern
  • die weitgehende Abschaffung von Statussymbolen
  • den transparenten Umgang mit wichtigen Unternehmensinformationen, wie Leistungskennziffern und Umsatz, die für alle Mitarbeiter frei verfügbar gemacht werden.

 
Diese Ideen lassen sich nicht mal eben so einfach umsetzen. Sie setzen voraus, dass ein klarer Wille vorhanden ist, im Unternehmen die Voraussetzungen für einen respektvollen, vertrauensvollen und „erwachsenen“ Umgang miteinander zu etablieren. Sie setzen voraus, dass der Wunsch da ist, die unterbewussten Ängste zu überwinden, die häufig als Ursache hinter dem etablieren Verhalten, den Regeln und Routinen stecken. Sie setzen voraus, dass es das Ziel ist, die Energien und Möglichkeiten der Mitarbeiter tatsächlich optimal für das Unternehmen zu nutzen. Es ist eine der grundlegenden Aufgaben von Führung und insbesondere von Leadership, jeder Form von Respektlosigkeit aus dem Umfeld des Teams, der Abteilung, des Bereichs und der Organisation zu verbannen!
 
Am Ende ist es, gerade heute, gerade in einer Zeit, die es uns nicht leicht macht unsere gewohnten Standards zu erhalten, wichtig diese zu hinterfragen und zumindest solche, wie ich sie beschrieben habe, zu überdenken. Es ist aus ökonomischer und sozialer Sicht wichtig, positive und negative Respektlosigkeit klar zu differenzieren und negative Respektlosigkeit aus dem Arbeitsleben zu eliminieren. Es ist, aus meiner Sicht, ein wichtiger Schritt um gemeinsam und gestärkt in die Zukunft zu schauen.