>>> Meinung

Wie schön wäre es, wenn wir (wieder) mehr auf einen Gott vertrauen könnten. Eine allwissende, wohlwollende, charismatische, komplexitätskompetente, systemisch denken- und handelnde, vorausschauende, weisungswillige und -befugte Instanz, die als Ziel und Richtung vorgibt, gegenseitige Verbundenheit und Vertrauen aufzubauen und die es uns in unserer (Arbeits)Welt ermöglicht, tatsächlich den Mensch in den Fokus zu rücken. Und das alles rechtzeitig, bevor wir noch intensiver und mehr mit Maschinen interagieren und damit rechtzeitig, bevor wir vollends die ethische und moralische Kontrolle verlieren.
 
Das für mich (derzeit) prägnanteste Beispiel ist unsere vielfache (Filterblasen)Diskussion um den (so wichtigen) Menschen- oder auch Kundenfokus. Klar, es gibt einige Unternehmen, die den einen und damit immer auch den anderen tatsächlich leben, die allermeisten spielen aber nur Theater. Sie imitieren Kunden- oder Mitarbeiter- oder Menschenfokus und sind in Wahrheit doch maximal chef- und führungsfokussiert. Das ist einfacher, bequemer und entspricht eher unserer Sozialisierung – nicht nur der, der Führungskräfte, sondern unser aller.   
 
Dafür nimmt man dann in Kauf, dass man nicht so kann und darf, wie man es „eigentlich“  gerne würde. Man nimmt in Kauf, dass man bei Entscheidungen kaum Mitsprache hat, dass man sich an die Vorgaben hält, auch wenn man weiß, dass es besser anders und anders besser geht. Man steckt zurück, weil man den Konflikt scheut und fürchtet ohnehin den kürzeren zu ziehen. Man lässt Macht gewähren, wo es sinnvoller und erfolgversprechende wäre mitMach(t)en zu können. Auch wenn wir wissen, dass es weder für das Unternehmen noch für uns selbst von Vorteil ist immer wieder so zu agieren.
 

Warum handeln wir alle, immer (mal) wieder, dann doch so? 

Weil es ganz natürlich ist, den bequemeren, einfacheren Weg zu gehen, Verantwortung abzugeben, nicht immer mit vorne zu stehen, sagen zu können, dass die anderen das so wollen. Und wir machen dabei mit, weil für viele der Aufstieg, das Karriereziel „Führungskraft“ natürlich weiterhin attraktiv ist – und wer sägt schon an dem Ast, auf dem er selbst mal sitzen möchte?!
 
Der Wunsch Alpha-Wesen zu sein, ist tief in uns verwurzelt. Und neue Organisationsutopien schüren zudem die Angst davor, dieses Lebensziel nicht (mehr) umsetzen zu können. Wenn alle gleich sind, wo bin ich dann gleicher?
Andererseits wollen viele andere auch gar keine Führungskarriere. Sie wollen die Verantwortung für ihr Privatleben, aber nicht unbedingt für die Dinge, die sich bei der Arbeit weit jenseits sinnvoller Kontrollmöglichkeiten und außerhalb der Komfortzone abspielen. Die Angst vor den schlaflosen Nächten wächst mit der Sorge, über sich selbst hinauszuwachsen. 
 
Und so wird weiter die Kompetenz der Disziplin untergeordnet, das Vertrauen dem Misstrauen, die Selbstverantwortung den Vorgaben, die langfristige Zukunft dem kurzfristigen Profit. Wir denken in Kategorien wie Arbeitszeit statt -wirkung, Boni statt Beteiligung, Einzel- statt gemeinsamer Verantwortung und manifestieren damit immer mehr tief verankerte, erlernte Hilflosigkeit. Sich tatsächlich für das eigene Tun verantwortlich fühlen zu können, das schaffen wir im Privatleben manchmal und im Berufsleben selten. 
 
Das mag als kurzfristige Strategie wunderbar funktionieren. Mittel- und langfristig limitiert es aber die Führungskräfte, Chefs und Unternehmen, indem sie die großen Hebel für Macht und Einfluss aus der Hand geben. Denn diese stecken mittel- und langfristig viel mehr im gemeinsamen und gemeinsam genutzten Potenzial als im kurzfristigen Druck. In dem Potenzial das jeder nur in die Gemeinschaft einbringt, wenn es ihm und ihr selbst langfristig mehr Zufriedenheit bringt. Am Ende muss sich halt bei der Aktion jeder irgendwie damit wohlfühlen. Nacht und Einfluss der Zukunft haben diejenigen, denen es gelingt die Potenziale der Freiwilligen, der Follower und Netzwerke, hinter ihnen zu bündeln und nutzbar zu machen.  
 
Der technische Fortschritt hat uns Aufgaben eingebrockt, die es nun gilt anzugehen. Die Digitalisierung erlaubt uns, Wissen jederzeit und überall zu nutzen, aus unserer Jackentasche heraus mit der ganzen Welt in Echtzeit zu kommunizieren. Sie hat Gemeinschaft in einem Maß erlebbar gemacht, dass vor 10 Jahren unmöglich schien. Aber wir kranken auch noch an den Folgen der letzten großen technischen Revolutionen. Sie haben die Grundlage für unseren Wohlstand und die heutigen Entwicklungen geschaffen, aber auch, als unbewusste und ungewollte Nebenwirkung, den Klimawandel enorm beschleunigt und uns in den Organisationsstrukturen entmündigt. Alles mit dem Ziel größer, schneller, weiterzukommen, bis an den Rand unseres Planeten und darüber hinaus. Nun langsam, nachdem jeder Winkel erreicht, erforscht und „zivilisiert“, d.h. an das Wirtschafts- und Handelssystem angeschlossen ist, ist es Zeit die Welt und ihre Ressourcen als begrenzt und schützenswert zu realisieren.   
Es ist damit an der Zeit bei dem was wir tun und wie wir es tun wohldosierter und bewusster Gas und Bremsest zu nutzen. Es ist Zeit Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen soziales, ökologisches und ökonomisches, zur gemeinsamen Basis des Handelns auch und vor allem in Unternehmen werden zu lassen. Fernab von greenlabeling ist es Zeit, sich bewusst zu machen, dass, nachdem sich unsere Vorfahren das Recht genommen hatten, die Welt und die von uns genutzte Technologie immer weiterzuentwickeln, wir nun gemeinsam in der Pflicht stehen, die Konsequenzen anzunehmen. Es ist das Erbe, dem wir uns stellen sollten, um selbst ein annehmbares Erbe zu hinterlassen.
 
Ich glaube fest daran, dass es uns leichter gelingen wird dieses Erbe zu gestalten, wenn wir auch beginnen Unternehmen und Organisationen wieder langfristiger und nachhaltiger (aus-)zu-gestalten. Es gibt Beispiele, die zeigen, dass sich die Themen nicht ausschließen. Gerade im deutschen Mittelstand gibt es viele Familienunternehmen, die sehr erfolgreich mit anderen Maßstäben agieren als schnellem Profit und klaren Machtstrukturen. Aber auch weltweit richten sich Unternehmen wie Semco, Gore, Patagonia, Buurtzorg nach „neuen“, gemeinverträglicheren KPI aus. Selbst Investoren wie Bridgewater rufen dazu auf Ökonomie, Ökologie und Soziales wieder mehr unter einen Hut zu bekommen. 
 
Doch große(, weltweite) Gemeinschaften zu bilden, die einen Glauben, ein großes, übergreifendes und attraktives Ziel teilen und entsprechend handeln, ist bislang nur den Göttern gelungen. Auch wenn die heutigen großen Religionen in ihren eigenen Organisationsstrukturen kein Beispiel bieten, so bieten dieses doch die Ziele, die sie verfolgen. Am Ende geht es immer darum, die Erhaltung der Menschen und dazu die des Planeten zu sicher. 
 
Ich glaube, heute brauchen wir einen neuen Gott, der uns wieder zusammenbringt, um gemeinsam die großen Herausforderungen der Zeit zu stemmen. Vielleicht beginnen wir damit die Grundlagen dafür in jedem Unternehmen zu schaffen, indem wir, jeder von uns, daran arbeiten das Unternehmen, sein soziales, ökologisches und ökonomisches Umfeld und damit in einer Kettenreaktion am Ende der ganzen Planten in einen Zustand zu versetzen, der der Erhaltung der Menschheit insgesamt dient.
Das wäre mal ein Gott, an den auch ich glauben kann.